MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 100 - (p) 1961
1 LP - 1 C 037-28 907 - (p) 1961
1 CD - CDZ 25 2239 2 - (c) 1990
1 CD - 9 28341 2 - (p) & (c) 2013

POTSDAM - Am Hofe Friedrich des Großen




Friedrich der Grosse (1712-1784) Sinfonia für 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner in D, Streicher & B.c. D-dur (1742)


1. Allegro assai
3' 45" A1

2. Andante (espressivo) 4' 10" A2

3. Scherzando (Allegro) 3' 23" A3




Carl Heinrich Graun (1703-1759) Montezuma - Oper


4. Arie: Erra quel nobil core che in sua bontà riposa (Pilpatoé) 5' 03" A4




Johann Joachim Quantz (1697-1773) Konzert für Flöte, Streicher & B.c. e-moll


5. Allegro ma non troppo 5' 46" A5

6. Affettuoso 4' 16" A6

7. Vivace 4' 08" B1




Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) Concerto a cembalo concertato, 2 Violini, Viola e Basso d-moll Wq 23 (1748)


8. Allegro 9' 15" B2

9. Poco andante
7' 44" B3

10. Allegro assai 7' 14" B4



 
Karlheinz Zöller, Flöte (1-3,5-7)
Berliner Philharmoniker
Fritz Demmler, Flöte (1-3)
Hans von Benda, Leitung
Wolfgang Meyer, Cembalo (1-3,5-7)

Pilar Lorengan, Sopran (4)

Werner Smigelski, Cembalo (8-10)

Heinz-Friedrich Hartig, Cembalo ripieno (8-10)

 






Luogo e data di registrazione
Gemeindehaus, Berlin-Zehlendorf (Germania) - febbraio e marzo 1961

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Fritz Ganss / Gerd Berg / Christfried Bickenbach / Horst Lindner

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 100 - (1 LP) - durata 55' 15" - (p) 1961 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1 C 37-28 907 - (1 LP) - durata 55' 15" - (p) 1961 - Analogico

Edizioni CD
EMI Electrola - CDZ 25 2239 2 - (1 CD) - durata 55' 15" - (c) 1990 - ADD
EMI Music - 9 28341 2 - (1 CD) - durata 55' 15" - (p) & (c) 2013 - ADD


Cover
Sansouci - Erich von Johann Friedrich Schlru












SANSSOUCI - Das Wunder von Potsdam
Im Potsdam Friedrich des Großen gab es eigentlich zwei Höfe.
Die Königliche Residenz inmitten der Stadt, am Ufer der Havel. in guter Nachbarschaft mit Bürgern und Rathaus, mit Nikolai-Kirche und dem Exerzierfeld auf dem Lustgarten. Sie lagen dicht beieinander: der Herkules, auf dem Rathaus die Erdkugel tragend: das Haus Gottes, in dem Johann Sebastian Bach vor Friedrich musiziert hatte; die Bittschriftenlinde - und das kahle, staubige Feld der Soldaten, das Reinhold Schneider poetisch verklärt die ,Geburtsstätte einer Macht' nannte. Im Mittelpunkt dieser Linien lag das Schloß. Mit Tabakskollegium, der Galerie der Langen Kerle, den Prunkgemächern Friedrich des Großen - den Zimmern, in denen Napoleon gestanden, nur zwanzig Jahre nach Friedrichs Tod. Eine Burg der Erinnerung, verschönt durch Gregor Memhardt und Andreas Schlüter, später durch Knobelsdorff in ein neues Gewand gehüllt. Heute bis auf den letzten Stein verschwunden.
Abseits von diesem etwas strengen Königlichen Hofe liegt noch heute fast ganz unversehrt das andere Potsdam - Sanssouci. Das Schloß auf dem Weinberg, eingesponnen von einem weiten Park, an dessen Rückwand, nach Bornstädt hin, Generationen von Sanssouci-Gärtnern ihren letzten Schlaf halten.
Von Sanssouci aus fällt der Blick auf die Stadt Potsdam und die Havelniederung, findet zurück zu den verschlungenen Wegen des Parks, zum Chinesischen Häuschen, zum Antiken-Tempel, zur Bilder-Galerie, tastet sich zu der trotzigen Steinmasse des Neuen Palais, auf dessen Kuppel, dem Volksmunde nach, die Pompadour, Maria Theresia und die Zarin Elisabeth von Rußland die Krone Preußens zur Sonne emporheben. Von Potsdam aus wurde - nach einem Wort Theodor Fontanes - Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet.
Die Welt Sanssouci umspannt nur einen kleinen Zeitraum, knappe vier Jahrzehnte. Am 1. Mai 1747 speiste der König erstmals mit seinem Hofe im Marmorsaal des neuen Lustschlosses und am 17. August 1786 hauchte er in dem gleichen Hause in den Armen seines Kammerhusaren Strutzki sein Leben aus.
Zwischen 1747 und 1786 liegen Kriege und Nöte, Berge von Schicksal - und Glück- und der Anbruch einer neuen Zeit. Einer höchst wechselvollen und stürmischen Zeit. Irgendwo im Bayerischen formte Franz Anton Bustelli seine zierlichen Porzellan-Figuretten. In Frankfurt wurde Goethe geboren. Winckelmann rüstete sich zu seiner Italienfahrt - und Mozart besuchte gleich nach Friedrichs Tod Potsdam, hinterließ aus der „Zauberflöte“ die Papageno-Arie, die leicht variiert bis in unsere Tage in Potsdam widerklang. Als Glockenspiel vom Turm der Garnisonkirche herab: "Üb' immer Treu' und Redlichkeit". Dazwischen wetterleuchteten die Schlesischen Kriege. Leuthen und Torgau. Kolin und Kunersdorf. Dazwischen lauert das Lächeln der Barbarina - und am Ende der Blick Mirabeaus, der als letzter zur Audienz vorgelassen wurde und eiligst seiner Königin Maria Antoinette meldete, mit dem König von Preußen ginge es zu Ende. Sanssouci, die Welt Friedrich des Großen, ist erfüllt von tiefer Musikalität. Das ist das eigentliche Wunder von Potsdam. Sanssouci war in alten Tagen ein Weinberg, weit vor der Stadt, wild, wüst, nur wenig umleuchtet von Geschichte. Irgendwo am Fuße des Berges ließ sich der Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., der Vater, eine einfache Hütte bauen, züchtete in einem kleinen Garten Kohl und Spargel, schob dicht dabei, wenn er glänzender Laune war, polternd Kegel. Und nannte das Fleckchen, mit leisem Spott auf Ludwig XlV., „mein Marly“.
Nur wenn er glänzender Laune war und nicht mit dem Sohne zürnte, ihm schrieb: „sein eigensinniger böser Kopf, der nicht seinen Vater liebt“. Wenn er ihm nicht die Flöte entriß und in die Ecke warf. Und dabei doch, wenigstens für sich, lächelte. Denn er selbst, der ungeschlachte, wilde, grobe, aber zugleich tiefreligiöse Mann war in seiner eigenen Jugend ein begnadeter Flötenspieler. Ja, wenn der Sohn ihn vielleicht darum gebeten hätte! Aber Heimlichkeiten - und hinter seinem Rücken? Nein! „Ein Prinz, der die Flöte gar so schön spielt, wird nachher den Degen um so schlechter führen." Er zerriß die Notenblätter. Vielleicht tat es ihm weh. Genau wie es ihm leid tat, daß der Katte starb, „damit die Gerechtigkeit nicht aus der Welt käme“.
Aber trotz allem, trotz Ungnade des Vaters, trotz Spott der Königlichen Offiziere (die aber insgeheim doch schon mit der „künftigen Sonne tramierten“), trotz Küstrin, blieb die Musikalität in Friedrich hellwach.
Sie starb nicht. Sie konnte nicht sterben. Sie blühte und wuchs. Und sie feierte nach der langsam wiederkehrenden Huld des Königs leise Triumphe in Amalthea, dem Gartenhause vor den Wällen Ruppins. Und sie erlebte rauschende Feste - später in Rheinsberg. Noch vor dem ersten stürmischen Huldigungsbrief an Voltaire rief Friedrich sich Carl Heinrich Graun nach Ruppin und Rheinsberg. Graun blieb bis an sein Ende in der Nähe und Gnade seines Königs. Gleich nach der Thronbesteigung Friedrichs wurde er zum Königlichen Kapellmeister ernannt und mit dem Aufbau der Oper in Berlin betraut. Seine vielfältige Arbeit, Grimm während der Kampagnen, Eifersüchteleien mit Friedrichs Schatullverwalter Fredersdorff - das alles ließ ihm Zeit für zahlreiche und noch heute lebende Kompositionen,
Graun kam fast zur gleichen Zeit mit dem Offizer Georg Wenzeslaus von Knobelsoorff nach Rheinsberg, der sein Patent alsbald an den Nagel hängte und als Baumeister in die Dienste Friedrichs trat. Er verwandelte die Wasserburg Rheinsberg in ein heiteres Chateau, mit Kolonnade, zwei Rundtürmen mit stumpfen Helmen. Er zauberte in das große Haus einen lichten Musiksaal, dazu ein winziges Turmkabinett, mit dem Blick auf den See, ein Zimmerchen, das Jahre später in der runden Bibliothek von Sanssouci wiederkehrte. Friedrich hat nach ganz glaubhaften Berichten lange gezögert, seine Residenz von Rheinsberg nach Potsdam zu verlegen. Und er tat es nur mit Ieisem Mißvergnügen. Potsdam war Glanz und Welt und Mittelpunkt. Das Herz Preußens. Rheinsberg war Ruhe, Friede - ein Lieblingsplatz der Musen.
Friedrich hat Rheinsberg später nie wiedergesehen. Aber er hat einiges aus der Stille der stillsten Grafschaft Brandenburgs mit hineingenommen in die stürmische Welt Potsdams: den Glauben an die Gerechtigkeit und die Liebe zur Musik.
Zu seinen ersten Entschlüssen als König gehörte die Ordre an das Geistliche Departement: „Die Religionen Müssen alle Toleriret werden, damit keine der anderen Abbrug tuhe.“ Und zu den ersten, die er an seinen neuen Hof band, gehörte der dritte Sohn Johann Sebastian Bachs, Carl Philipp Emanuel. In Weimar geboren, an der Thomasschule in Leipzig erzogen, von Johann Sebastian selbst ausgebildet, kam er nach kurzem Jurastudium in Leipzig und Frankfurt an der Oder 1738 nach Berlin. Er hielt durch siebenundzwanzig Jahre dem König die Treue, bis er 1767 nach Hamburg ging.
Ein Künstler späterer Zeit setzte ihm ein bleibendes Denkmal: Menzel in dem berühmten Gemälde vom Flötenkonzert zu Sanssouci. Da steht im kerzenerfüllten Musiksalon Friedrich vor einem Notenpult, die Flöte am Mund; am Spinett, nur auf das Zeichen zum Einsatz wartend, sitzt Philipp Emanuel Bach. Ringsum gruppiert Musikanten und Hofgesellschaft. Unter einem Spiegel, ganz im Hintergrund des Bildes, die Markgräfin von Bayreuth, der zu Ehren konzertiert wurde. Und etwas weiter vorn, der König kehrt ihr den Rücken zu, sitzt die Prinzessin Amalie.
Damen am Hofe Friedrich des Großen gehören zu den Seltenheiten. Das Schloß Ohne-Sorgen war der einzige frauenlose Hof Europas. Noch nicht einmal die Gemahlin des Königs hat je ihren Fuß über die Schwelle von Sanssouci gesetzt. Im Norden, weit vor den Toren Berlins, lebte sie in Niederschönhausen. Halbvergessen, fast verstoßen, belächelt. In Sanssouci, in seiner Welt, umsponnen von den Bildern Watteaus und dem Klagen der Flöte, die wie verloren zwischen den Schlachten klang, wollte er sich selbst leben.
Er hatte sich Sanssouci ertrotzt. Den ersten Entwurf mit Terrassen und Rundpavillon selbst gezeichnet. Sich mit Knobelsdorff erzürnt, weil der ein Kellergeschoß unter das Schlößchen setzen wollte. Und er hatte eifersüchtig gewacht, daß ihm niemand sein Schloß Ohne-Sorgen streitig machte. Irgendwo aus dem Feldlager zwischen Neiße und Mollwitz erließ er den Befehl zur Grundsteinlegung. In den schlaflosen Nächten schrieb er Ordres, Balken anzufahren und Steine, zeichnete Pläne, wie er sich den Park dachte, die Kabinette, die Gastkammern, das Zimmer Voltaires, die Bibliothek, den Musiksalon.
Er wies die Stellen, wo die Bilder Antoine Pesnes hängen sollten. Wo und in welcher Manier er die Deckengemälde wünschte - auch von Pesne, der schon dem ersten König in Preußen gedient hatte, Friedrich I., dann dem Vater, Friedrich Wilhelm I., und der ein wunderliches Bild hinterließ: Empfang in Monbijou an der Spree. Der Soldatenkönig und - vor ihm aufmarschiert, wie Grenadiere - die Königin mit ihren Kindern, den kleinen Prinzessinnen und Prinzen. In Sanssouci freilich hingen andere Motive, heitere. Immer wieder die Barbarina. Der König lockte sie mit List nach Berlin. Überhäufte sie mit Gunst. Dann war der Tag endlich heran. Die Einweihung. Der König an der Festtafel - auch das hat Menzel hinterlassen. Die Windspiele streichen herum. Am Tisch Friedrich und Voltaire, Algarotti, D'Argens und La Mettrie. Die Türen weit offen mit dem Blick in den Park. Und zwischen den Stühlen immerwieder die Windspiele. Die er liebte und denen er, ganz nah der Bibliothek, eine Gruft weihte. Sie hatte er immer vor Augen, stand er am Fenster.
Er liebte diese zierlichen Tiere wie seine Flöte. Die er endlich doch aus der Hand legen mußte. Solange auch Johann Joachim Quantz bei ihm blieb. Aus dem Hannoverschen kam er zu ihm, vielgereist und voll sprudelnder Vitalität. Er blieb bis zum Tode in Preußen. Und hinterließ Schränke voll Kompositionen.
Die Musikalität blieb Sanssouci treu. In der Erinnerung. In einem vielleicht etwas verklärten Bilde. Aber sie ging nie verloren. Noch unter Friedrich Wilhelm IV., der als einziger Preußischer König hernach in Sanssouci residierte, wurde der Faden neu geknüpft: Felix Mendelssohn-Bartholdy zog ein als Gast am alten Hofe Friedrich des Großen. Die Melodien schwangen weiter. Und sie klingen als geistiges, als kulturelles und in einem ganz übertragenen Sinne auch als sittliches Denkmal bis in unsere Tage hinein.
Hans-Ulrich Engel

Friedrich der Große

Die musikalische Ausbildung Friedrichs II. von Preußen (1712-1786) beginnt im 7. Lebensjahr mit Unterricht im Generalbaßspiel und im vierstimmigen Satz. Die wesentlichen Lehrer werden später Johann Joachim Quantz, mit dem er seit 1728 in enger Verbindung steht, und Carl Heinrich Graun, den er - noch als Kronprinz - 1735 als Dirigent und Kompositionslehrer verpflichtet. Die Ausbildung wird immer wieder gestört durch die Unduldsamkeit des herrischen Vaters (nach 1728 verbietet er gar jede musische Betätigung). Erst nach der Thronbesteigung am 31. Mai 1740 kann Friedrich den Wunsch verwirklichen, seiner Residenz einen künstlerischen Schwerpunkt zu geben. Carl Philipp Emanuel Bach wird als 1. Cembalist verpflichtet. Doch die Bedeutung des zweiten Bach-Sohnes hat Friedrich nie recht erkannt. Der König ist ein zwar ernst zu nehmender Dilettant, aber sein Geschmack ist einseitig. Unter seinem Geschmacksdiktat und infolge der Belastungen durch Kriege wird eine lebendige Entwicklung nur für kurze Zeit möglich. Der bedeutsame Aufschwung liegt nach dem Frieden von Dresden. In diese Zeit fällt die Eröffnung der neuerrichteten Berliner Oper (1742). Am 7. Mai 1747 findet die denkwürdige Begegnung mit dem großen Johann Sebastian Bach statt („Das musikalische Opfer“). 1756 wird die Oper für über acht Jahre geschlossen. Das Kunstinteresse des Königs läßt nach. Die kompositorische Tätigkeit hört bald ganz auf. Die Musikabende erstarren in Eintönigkeit.
Die Sinfonia in D-dur (für 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Hörner und Streicher mit unterstützendem Cembalo) entstand wahrscheinlich 1742. Die Satzfolge zeigt die von Friedrich bevorzugte dreiteilige Form: schnell -langsam - schnell. Das Vorbild seiner Lehrer Quantz und Graun ist unverkennbar. Der brillant angelegte erste Satz entwickelt sich großzügig und breitflächig aus mehreren Themenkomplexen. Gegenüber der Eleganz in der melodischen Erfindung bleibt die harmonische Entwicklung allerdings recht einfach, ein Zug, der in fast allen Kompositionen des Königs festzustellen ist. Als Flötist empfindet Friedrich mehr in der melodischen Linie als in harmonischen Strukturen. Das zeigt besonders der langsame zweite Satz. Die Melodik ist ganz auf die Eigenart der solistisch musizierenden Flöten abgestimmt. Im Wechsel der parallel geführten oder einander antwortenden Flöten wird er beherrscht von dem empfindsamen Ausdruckscharakter jener Zeit. Es gibt wenige langsame Sätze unter den Kompositionen Friedrichs, die bei größter Sparsamkeit des Instrumentariums - nur die beiden Violinen begleiten unisono - eine solche Geschlossenheit und Dichte aufweisen. Eine kurze Schlußkadenzierung, ausgeführt von den Holzbläsern und Streichern, bildet den Absprung für den letzten (Rondo-)Satz. Er ist heiter, beschwingt, in der Thematik die unbeschwerte Spielfreudigkeit des Rokokos betonend. Ein formal klar gegliederter Satz, der die Möglichkeit wechselnder Gruppierung der Instrumente ausnutzt. Die Flöten bereichern das Gesamtinstrumentarium durch ihren Glanz.

Carl Heinrich Graun
Carl Heinrich Graun wird, als jüngster von drei sehr musikalischen Brüdern, 1703 in Wahrenbrück (Sachsen) geboren. Seit 1714 Schüler der Kreuzschule in Dresden, treibt er schon früh Gesangs- und Kompositionsstudien. 1725 wird er als Tenorist an die Braunschweigische Hofoper verpflichtet. Bereits nach zwei Jahren rückt er dort zum Vizekapellmeister auf. 1733 komponiert er anläßlich der Vermählung des Kronprinzen Friedrich von Preußen mit der Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern die Oper „Lo specchio della Fedeltà“. Daraufhin verpflichtet ihn Friedrich als Komponist und Tonsatzlehrer. Eine feste Bindung erfolgt aber erst 1736, nachdem die Braunschweiger Kapelle aufgelöst wird. Die neuerbaute Berliner Oper wird im Dezember 1742 mit Grauns „Caesar und Cleopatra“ eröffnet. Graun stirbt, 55jährig, an einer „hitzigen Brustkrankheit“, die ihn auf die Nachricht von der Niederlage Friedrichs II. bei Züllichau befallen haben soll. Noch zu seinen Lebzeiten wurde er durch die Aufnahme in die „Societät der musikalischen Wissenschaften“ geehrt.
Carl Heinrich Graun war ein sehr empfindsamer, stiller Mann, kein selbständiger, origineller Kopf. Seine sechs in Braunschweig geschriebenen Opern verraten noch Experimentierfreudigkeit; aber bald verschreibt er sich ganz dem italienischen Stil. Und seine für Friedrich II. geschriebenen 27 (!) Opern verknöchern mehr und mehr in erstarrten Formen. Lediglich die Oper „Montezuma“ zeichnet sich durch die Befreiung von der üblichen starren Opernform aus; ihr Textbuch stammt von Friedrich II.; am 6. Januar 1755 wird die dreiaktige „Tragedia per musica“ uraufgeführt. Die Arie „Ach, ein zu edler Mut irrt oft“ ist zweiteilig, eine Form, der Friedrich den Vorzug vor der dreiteiligen Dacapo-Arie gab. Ihre schlichte melodische Führung bestätigt Graun als den Komponisten empfindsamer, „rührender und flehender“ Melodik. Die Arie beginnt- dem damaligen Zeitstil entsprechend - mit den Seufzerbildungen des lombardischen Rhythmus, der in vielen Kompositionen Grauns anzutreffen ist. Sie beherrschen in abgewandelter rhythmischer Form den ganzen ersten Teil der Arie und greifen auch in den zweiten Teil (Allegro) über. Selbst in diesem gesteigerten Tempo sind Schlichtheit des Ausdrucks und gesangliche Einfachheit Merkmale der melodischen Führung. Sie behauptet sich auch zum Schluß hin gegen die erregten Einwürfe des begleitenden Streichorchesters. Die Harmonik wird zwar durch gelegentliche chromatische Führungen gespannt, verzichtet aber auf außergewöhnliche Akzentuierungen. Graun lehnt nämlich „das scharfe musikalische Gewürz“ ab. Das Vorspiel der Arie nimmt die Anfangstakte des langsamen ersten Teils voraus; das Nachspiel orientiert sich an den Schlußtakten des Vorspiels und schließt mit scharf punktierten Rhythmen.

Johann Joachim Quantz
Als Johann Joachim Quantz (geb. 30. Januar 1697 in Oberscheden bei Göttingen, Sohn eines Hufschmieds) zum erstenmal vor dem Kronprinzen Friedrich von Preußen spielt, beginnt eine Freundschaft, die ihn bis an sein Lebensende an den Hof Friedrichs bindet. Quantz' musikalische Anlagen zeigen sich früh. Die Lehrzeit führt ihn über Merseburg (Oheim Justus Quantz), Radeberg, Pirna nach Dresden. Bis 1718 ist er dort in der kgl. polnischen Kapelle Violinist, Oboist und Trompeter. Nach Unterrichtung durch den Flötisten Buffardin wird die Flöte alleiniges Instrument, das er bald virtuos beherrscht. Auf vielen Reisen nach Italien (Begegnung u. a. mit Scarlatti und Vivaldi), Genf, Lyon, Paris und London schult er seinen Geschmack und nimmt, begabt mit schneller Auffassungsgabe und kritischem Verstand, das Neue begierig auf. 1741 akzeptiert er das mit 2000 Talern Gehalt dotierte glänzende Angebot Friedrichs II., Kammermusikus und Hofcompositeur zu werden. Friedrich ehrt den Freund nach dessen Tode (12. Juli 1773 in Potsdam) durch Stiftung eines Denkmals.
Quantz ist der hervorragende Vertreter des Berliner galanten Stils. In seinem bedeutenden „Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen“ wird deutlich, mit welcher Folgerichtigkeit er diesen Stil anstrebt, der unparteiisch französischen Esprit und italienische Sinnenfreudigkeit in die deutsche Musik einbezieht. In seinen 300 Flötenkonzerten und 200 anderen Kompositionen ist er allerdings nicht Vollender, aber ein ernst zu nehmender Wegbereiter. Vor allem in den langsamen Sätzen verwirklicht er die Forderung nach beseeltem Ausdruck. So in dem „Affetuoso“ überschriebenen Mittelsatz seines Flötenkonzerts in e-moll. Hier zeigt er sich als Meister des zärtlich singenden Instrumentalstils, mehr denn in den schnellen Ecksätzen, die sich nie ganz vom italienischen Vorbild zu lösen vermögen. Trotzdem vermeiden auch sie die Überladenheit mit übertriebenem Zierwerk - ein typischer Wesenszug für die nach Schlichtheit strebende Berliner Schule. Der erste Satz des Flötenkonzerts, in der Frühform des klassischen Sonatensatzes geschrieben, zeigt Quantz als Meister des virtuosen Flötensatzes. Der dritte Satz bleibt zwar ein wenig in der Starrheit von Sequenz-Schablonen hängen, ist aber mit seinem Rondocharakter ein vitales, musikantisches Schlußstück. Einige seiner Episoden deuten bereits auf das „singende Allegro“ der späteren klassischen Zeit hin.
Heinz Friedrich Hartig

Der Barock-Traverso

Die erste Begegnung zwischen Johann Joachim Quantz und dem Kronprinzen Friedrich von Preußen fand im Jahre 1728 statt, als Quantz im Gefolge August III. von Sachsen nach Berlin kam. Friedrich empfing von dem berühmten Virtuosen, bei dem er einige Unterrichtsstunden nahm, einen so nachhaltigen Eindruck, daß er ihn 1741 als königlichen Kammermusikus an seinen Hof berief. Für Quantz erfüllte sich damit ein lang gehegter Wunsch. Nachdem er viele Jahre lang durch Europa gereist war, konnte er nun in der Potsdamer Zurückgezogenheit seine Erfahrungen verarbeiten. Bis zu seinem Tode 1773 blieb er Lehrer und Freund seines Königs, und nicht zuletzt auf seinen Einfluß mag Friedrichs konservativer Geschmack in allen musikalischen Fragen zurückzuführen sein. ln den rund dreißig Potsdamer Jahren entstanden ein großer Teil der Quantz'schen Kompositionen, eine Reihe von Verbesserungen am Instrument und der bedeutende „Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen“, den Quantz 1752 erscheinen ließ, seinem „allergnädigsten Könige und Herrn“ gewidmet. Mit diesem Lehrbuch haben wir nicht nur eine der ersten umfassenden Flötenschulen, sondern es vermittelt darüber hinaus eine genaue Vorstellung von der Aufführungs-praxis und dem Musizierstil jener Zeit. Durch seine Virtuosität, seine Lehrtätigkeit und vor allem durch dieses theoretische Werk, in dem er gleichsam die Summe seiner musikalischen und pädagogischen Erfahrungen zog, wurde Quantz zum eigentlichen Begründer des deutschen Flötenspiels.
Der Barocktraverso war ein konisch gebohrtes, diatonisches instrument, das aus drei, vier und machmal auch mehr Teilen bestand. Die auswechselbaren Mittelstücke dienten dazu, die Stimmung, die damals Schwankungen bis zu einer Terz unterlag, dem von den Musizierenden jeweils vereinbarten Kammerton anzupassen. Quantz ist wahrscheinlich die Einführung des Stimmzuges (die sich nicht erhalten hat) und des beweglichen Korkverschlusses am Kopfstück zuzuschreiben. Ebenso fügte er der bis dahin einzigen Klappe, der dis-Klappe, eine zweite für das es hinzu. Dadurch sollte es dem Spieler gelingen, sauberer zu intonieren, denn in der damals noch allgemein gebräuchlichen mitteltönigen Temperatur waren dis und es keineswegs dieselben Töne wie in der heutigen "wohltemperierten" Stimmung. - Das Material. aus dem die Flöten hergestellt wurden, war Buchsbaum, Ebenholz oder Grenadilleholz, auch Elfenbein wurde verwandt und war beliebt. Einige Sammlungen besitzen noch schöne, zum Teil reich verzierte Instrumente aus jener Epoche.
Die Mitte des 18. Jahrhunderts - zugleich Höhepunkt und Ausklang des Barockzeitalters - war für die Querflöte und ihre Literatur eine bisher nicht wieder erreichte Blütezeit, denn für das Spätbarock mit seinem Streben nach subjektivem Ausdruck wurde sie das ideale Medium musikalischen Empfindens. So ist es auch zu verstehen, daß die Querflöte die Blockflöte rasch aus ihrer Vorherrschaft verdrängen konnte und in kurzer Zeit ein sehr begehrtes Instrument bei Musikern und Liebhabern wurde. - Da der Querflötenton unmittelbar erzeugt, d. h. ohne Block und Kernspalte von den Lippen des Bläsers auf die offene Mundlochkante projiziert wird, ist ein ganz besonders inniges Verhältnis von Spieler zum Instrument möglich, das wiederum die Fähigkeit zur direkten Aussage seelischer Vorgänge in sich birgt. Der menschlichen Stimme vergleichbar läßt sich der Flötenton formen, färben, variieren und einem jeweiligen musikalischen Anliegen entsprechend gestalten. Dieser Ausdrucksreichtum ist es vor allem, der seit den Tagen Friedrich des Großen immer wieder Spieler und Zuhörer in den Bann des königlichen Instrumentes zieht und sie dazu verlockt, sich dem magischen Zauber des Flötenklanges zu verschreiben.
Gertrud Müller-Crone

Carl Philipp Emanuel Bach

Carl Philipp Emanuel Bach, als 1. Cembalist seit 1740 fest in den Friederizianischen Musikkreis verpflichtet, wurde am 8. März 1714 als zweiter der überlebenden Söhne von Johann Sebastian Bach und dessen erster Frau Maria Barbara in Weimar geboren. Er wächst zunächst in Köthen auf, besucht seit 1723 die Thomasschule in Leipzig und wird 1731 an der dortigen Universität für das Rechtsstudium immatrikuliert. Nach anschließendem Studium an der Universität Frankfurt an der Oder (ab 1734) bricht er seine Bemühungen um die Rechtswissenschaft ab und nimmt 1738 die Berufung nach Ruppin an den Hof des Kronprinzen Friedrich von Preußen an. Die Jahre am Hofe müssen für ihn recht quälend gewesen sein. Friedrich hat die Bedeutung Philipp Emanuels kaum erkannt und seinen stürmerisch drängenden Geist eher als lästig empfunden. (Es ist verbürgt, daß noch 1753 das ohnehin geringe Anfangsgehalt nicht erhöht war.) 1768 gelingt ihm der Wechsel nach Hamburg.
Er wird dort, als Nachfolger Telemanns, am 19. April feierlich in das Amt des Musikdirektors der Hansestaft einge führt. Hochangesehen als glänzender Improvisator, Komponist und Dirigent, stirbt er dort am 14. Dezember 1783 an einer Brustkrankheit.
Carl Philipp Emanuel Bach ist der erste Individualist in der Musik. Von Bachs Söhnen wirkt er am stärksten auf die Entwicklung der klassischen Musik ein. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht so sehr in der Form, als vielmehr in der Intensivierung des Ausdrucks, der Kühnheit seiner Harmonik und Rhythmik. In der Kraft der Aussage und in seiner völlig neuen Durchführungstechnik weist Philipp Emanuel Bach direkt auf Beethoven hin (der seinen „Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen“ außerordentlich geschätzt hat). Auch im Concerto d-moll für Cembalo und Streicher ist die starke Hand des Neuerers spürbar. Hier zeigt sich, wie weit die musikalische Sprache Carl Philipp Emanuel Bachs bereits von der üblichen Manier entfernt ist. Der erste, der Sonatenform angenäherte Allegro-Satz beweist schon in der über zwei Oktaven reichenden Weiträumigkeit des Hauptgedankens den Griff des musikalischen Stürmers und Drängers. Außergewöhniich ist die Verarbeitung dieses Themas, das in immer neue harmonische Beziehungen gebracht wird. Dem dramatisch gehaltenen ersten Themenkomplex stehen gesanglich gehaltene Themengruppen gegenüber, die meist vom unbegleiteten Soloinstrument getragen werden. - Erstaunlich und kühn für die damalige Zeit beginnt der im Zeitmaß „Poco Andante“ stehende zweite Satz. Seine Grundtonart wird erst im 17. Takt erreicht. Bis dahin bleibt er in Tonbereiche gespannt, die über und unter der eigentlichen Grundtonart liegen. In diesem Satz wird dann dem Soloinstrument die stärkste musikalische Aussage übertragen. In freier Liedform angelegt, ist er ein Zwiegesang zwischen dem konzertierenden Cembalo und dem Streicherkörper. - Ein Allegro assai beschließt das Konzert, ein vielteiliges Rondo, dessen Hauptthema seinen Impuls aus dem ersten Satz erhalten zu haben scheint. Spielfreudig, voller Vitalität überrascht es, ebenso wie die anderen Sätze, durch seine Phantasie und Neuartigkeit in der Verarbeitung des musikalischen Materials.
Heinz Friedrich Hartig
(EMI Electrola 1 C 037-28 907)