MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 106 - (p) 1961
1 CD - CDZ 25 2241 2 - (c) 1990
1 CD - 9 28339 2 - (p) & (c) 2013

SALZBURG - Der junge Mozart




Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Divertimento Nr. 1 Es-dur KV 113 - für Streicher, 2 Oboen, 2 Englishhörner, 2 Klarinetten, 2 Fagotte & 2 Hörner


1. Allegro 3' 06" A1

2. Andante 2' 51" A2

3. Menuetto 1' 51" A3

4. Allegro 2' 33" A4

Serenade Nr. 1 D-dur KV 100 - für Streicher, 2 Oboen, 2 Hörner & 2 Trompeten


5. Allegro 2' 57" A5

6. Andante 3' 26" A6

7. Menuetto 2' 35" A7

8. Allegro 2' 42" A8

9. Menuetto 2' 35" A9

10. Andante 1' 47" A10

11. Menuetto 2' 16" B1

12. Allegro 2' 45" B2

Cassation Nr. 1 G-dur KV 63 - für Streicher, 2 Oboen & 2 Hörner


13. Marcia 1' 54" B3

14. Allegro 3' 05" B4

15. Andante 2' 20" B5

16. Menuetto 3' 14" B6

17. Adagio 5' 19" B7

18. Menuetto 3' 27" B8

19. Adagio. Allegro assai 2' 25" B9



 
Tivadar Bantay, Oboe (5-12) Camerata Academica des Mozarteums, Salzburg
Michael Höltzel, Horn (5-12) Bernhard Paumgartner, Leitung
Christa Richter-Steiner, Violine (13-19)

 






Luogo e data di registrazione
Schloss Klessheim beu Salzburg (Austria) - aprile 1960

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Fritz Ganss / Christfried Bickenbach / Horst Lindner

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 106 - (1 LP) - durata 53' 34" - (p) 1961 - Analogico

Altre edizioni LP

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Edizioni CD
EMI Electrola - CDZ 25 2241 2 - (1 CD) - durata 53' 34" - (c) 1990 - ADD
EMI Music - 9 28339 2 - (1 CD) - durata 53' 34" - (p) & (c) 2013 - ADD


Cover
Salzburg, Ende des 18. Jahrhunderts - Nach einer Radierung von A. Amon nach F. v. Neumann - Salzburger Museum Carolino Augusteum












Mozarts Unterhaltungsmusik
Gut  ein  Drittel  des  626  Nummern  umfassenden  Köchel-Verzeichnisses,  des  Katalogs  der  Werke  Wolfgang  Amadeus Mozarts,  nennt  Kompositionen  unterhaltsamer  Art: Divertimenti,  Serenaden,  Kanons  auf  heitere  und  derbe  Texte, Menuette,  Contretänze,  Märsche,  Nachtmusiken,  Deutsche Tänze,  Ländler  und  Gefälligkeitskompositionen  vokalen  wie instrumentalen  Charakters.  Dieser  Tribut  an  das  Divertissement-Bedürfnis  des  Rokokos  wurde  von  Mozart  in  allen  Abschnitten  seines  fünfunddreißigjährigen  Lebens  entrichtet, vor  allem  in.  der frühen  Salzburger  Zeit,  als  ihn  Hofamt  und Bürgerlaune  zu  solchem  Entgegenkommen  verpflichteten.  Die vielen  kompositorischen  Brot-  und  Gelegenheitsarbeiten spiegeln  Mozarts  musiksoziologische Situation:  Er  war  Auftragskomponist,  Musikbediensteter,  ein  Kind  jenes  zerbrökkelnden  Ançien  Régime,  das  dem  Künstler  eine  höfischgesellschaftliche  Funktion  der  Abhängigkeit  zuwies.  Überdies  kannte  man  die  Spaltung.  von  „Unterhaltungsmusik” und  „ernster  Musik“  noch  nicht;  jegliche  Art  von  Musik  hatte zu  gefallen.  Und  schließlich  war  Mozart  alles  andere  als  ein sozialkritischer  Rebell,  eine  auf  stolze  Unabhängigkeit  pochende  Beethoven-Natur  oder  ein  versponnener  Einzelgänger.  Er  stellt  unter  den  großen  Musikern  den  Typ  des  umgänglich-geselligen  Menschen  dar,  den  agilen  Großstädter, den  zu  Späßen  und  Unterhaltsamkeit  aufgelegten  Bohèmien, den  „kontaktreichen“  Betriebsamen,  der  immer  Freunde, Trinkkumpane,  Briefpartner  und  Gönner  um,  sich  haben mußte.  Sein  Sinnen  und  Trachten  kreiste  stets  um  den  Menschen;  zur  Natur  hatte  er  überhaupt  kein  Verhältnis.  Er  war der  städtische,  zivilisatorische  Gesellschaftsmensch  par  excellence.
Die  psychologische  Wurzel  von  Mozarts  Unterhaltungsmusik ist  mindestens  ebenso  wichtig  wie  die  soziologische:  Es bereitete  ihm  Freude,  mit  seiner  Musik  zu  jener  Geselligkeit beizutragen,  die  er  selbst  so  sehr  schätzte.  Diese  Herzensbeziehung  zu  jeder  Art  von  gesellschaftlich  bezogener  Musik  ließ  ihn  die  unterhaltende  Kunst  wichtig  nehmen,  wenn sie  ihm  auch  mitunter.  zur  Last  fiel.  Mozarts  divertierende Kompositionen  sind  darum  durchwegs  ernsthaft  ausgearbeitet,  sind  vollwertige  Bestandteile  des  Gesamtwerks  und teilweise  sogar  die  einzigen  Träger  der  künstlerischen  Entwicklung;  anders  als bei  Meistern,  denen  Auftrags-  und  Unterhaltungsmusik  ein  mißliches  Ansinnen  bedeutete,  finden sich  hier  keine  schludrigen  Arbeiten,  keine  unpersönlichen Adaptionen  des  Zeitstils,  keine lustlos  erledigten  Parerga zum  großen  Oeuvre.  Zeitweilig  gaben die  Serenaden,  Cassationen  und Divertimenti  sogar  die  einzige  kompositorische Möglickkeit, die Entwicklung des jungen Genier voranzutreiben. Wo anders hätte Mozart die stilbildenden Enflüsse Michael Haydns, der Bach-Söhne un der Italiener fruchtbar für seine Entwicklung als singoniker verarbeiten können als in  der  dazumal  -  das  heißt  während  der  bis  1781  dauernden  Salzburger  Musikbeamtenzeit  -  gefragten  und bestellten  Auftragskomposition  für  gesellschaftliche  Zwecke?  Ein Konzertleben  wie  in  Wien  kannte  man  in  dem  fürsterzbischöflichen  Zwergstaat  genausowenig  wie  ein  Operntheater.  Das  ganze  Cherubino-Stadium  des  jungen, übersensiblen  und  stets  verliebten  Compositeurs  mußte  in  die  schier rituell  festgelegte  Satzfolge  der  Nachtmusiken gefaßt  werden, unter  Rücksicht  auf  die  instrumentalen  Möglichkeiten des kleinen Orchesters  und  in Hinblick  auf  das  recht  begrenzte Auffassungsvermögen der  Brotgeber  und  Landsleute.  Dieser  äußere  Zwang bewirkte eine ausdrucksmäßige Bereicherung  und  Sublimierung der Unterhaltungsmusik,  wie sie in der gesamten Musikgeschichte ohne Beispiel ist. Mozart, der in Fragen der Form niemals  ein  Revolutionär  war, vertiefte  das  Schema  durch  sein  Espressivo,  veredelte  eine spielerische  Kunstgattung  und  ästhetisierte  die  tönende Gebrauchsware.
In der  Wiener  Zeit  nahm  Mozarts  Unterhaltungsmusik  vornehmlich  auf  die  Erfordernisse  eines  weltstädtischen  Hofes Rücksicht. Es entstanden die Contretänze und Märsche, derentwegen  er  weit  mehr geschätzt wurde denn als Komponist  von  Opern,  Sinfonien  und  Klavierkonzerten,  denen nur  die  Kenner  Geschmack abzugewinnen vermochten. Daneben  schrieb er spaßige Kanans, heitere Lieder und musikalische Scherze zum Ergötzen des Freundeskreises. Die unterhaltende  Musik  galt  ihm  nicht  nur  als  Tarnmittel  für manche  Kühnheit  des  Ausdrucks,  sondern  nicht  minder  auch als  eine  Möglichkeit,  dem  feinen  wie  dem  handfesten  Humor  in  mancher  lustigen  instrumentalen  Wendung,  in  schier programmhaften  Schilderungen,  in artigen  Mystifikationen und  ähnlichen  kompositorischen  Finessen  Luft  zu  machen. Bezeichnenderweise  wurde  Mozarts  unterhaltsame  Musik am  spätesten  „entdeckt“.  Ins  Mozartbild  des  19.  Jahrhunderts  paßte  sie  nicht.  Erst  ein  Wandel  der  Mozart-Auffassung,  die  Entdeckerfreude  der  Dirigenten  (Hofrat  Bernhard Paumgartner  wäre  vorab  zu  nennen),  die  Gesamtausgaben und  der  Lokalpatriotismus  der  Festspielstadt  Salzburg  lehrten  den  „heiteren“  Mozart  schätzen.  Heute  herrscht  kein Zweifel  mehr:  Die  Unterhaltungsmusik  ist  ein  psychologisch wie  soziologisch  bedingter,  integraler  und  vollwertiger  Bestandteil  von  Mozarts  Werk.
KARL  SCHUMANN

Der junge Mozart
Daß Salzburg eines der schönsten Fleckchen Erde ist, darin würden uns mit Überzeugung im 18. Jahrhundert nur die Fürsterzbischöfe des Barocks und Rokokos beipflichten. Die Salzburger Bürger - vollblütige, derbknochige Kleinstädter mit bäuerlichem Einschlag - kämen uns mit beredten Klagen über den wirtschaftlichen Rückgang ihres eingekeilten Zwergstaates. Die Familie Mozart erhöbe Protest. Der Vater Leopold, weil er als ständig zurückgesetzter Vizekapellmeister hier zum Hypochonder werden mußte. Der Sohn Wolfgang Amadeus, weil ihm das aufgezwungene Amt eines Musikbediensteten die Schwingen lähmte, weil er kein Theater für seine Opernplläne vorfand, weil er seitab von den weltstädtischen Musikmetropolen leben mußte und weil ihn alles, was nicht Musik war, wenig berührte. Wenn er sich über Salzburg äußerte, kam ihm die Galle. „Nun von unserer Salzburger History! sie wissen, bester freund, wie mir Salzburg verhaßt ist! - nicht allein wegen den ungerechtigkeiten die mein lieber vatter und ich aldort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so einen ort ganz zu vergessen, und ganz aus den gedancken zu vertilgen!” Der Brief an den Abbé Bullinger (7. August 1778) enthüllt Mozarts Abneigung gegen Salzburg. Es war die Verbitterung eines jungen Mannes, der seine Karriere durch enge, feudalistische Verhältnisse beschnitten sah und aus verständlichem Groll manches wohl gar zu negativ beurteilte. Die Bindung an Salzburg griff über in die Bindung an den Vater. Immerhin war Mozart, bereits der Meister des „Idomeneo”, fünfundzwanzig Jahre alt, als er sich von beiden Verknüpfungen befreite, um in Wien und auf Reisen ein ungesichertes Dasein als Compositeur, Pianist, Dirigent und Musiklehrer zu fristen. Salzburg sah ihn nur ein einziges Mal wieder und auch da nur zu einem flüchtigen Höflichkeitsbesuch.
Umgekehrt mögen die Mozarts den biederen Salzburgern als Fremdkörper erschienen sein. Den Kleinstädtern sind Musikanten immer suspekt. Leopold, Mozart, der Handwerkerssohn und entlaufene Theologiestudent aus Augsburg, galt gewiß nicht viel. Daß er zwei musizierende Wunderkinder, das Nannerl und den fünf Jahre jüngeren Wolfgang Amadé - Mozart unterzeichnete zeitlebens als „Wolfgang Amadé“; die lateinische Form „Amadeus“ ist eine romantisierende Erfindung späterer Biographen! - sein eigen. nannte, großes Aufhebens von den Kleinen macht und mit ihnen reiste (bis übers Meer, nach London,.man bedenke!), mußte jeder Kleinbürger für eitel Großspurigkeit und Musikantendünkel halten. Daß der Herr Papa, der für Wolfgang Amadé gleich nach dem lieben Gott kam, die Kinder auch noch selbst unterrichtete - Mozart hat weder eine Schule besucht, noch methodischen Privatunterricht genossen, außer in der Musik - konnte nur als ein Zeichen von Hochmut ausgelegt werden. Im übrigen lebten die Mozarts wie kleine Hofbeamte. Geschmack konnten sie sich nicht leisten. Mozart blieb zeitlebens ein nachlässiger Bohèmien, der es nie zu  etwas brachte. Aber das fiel ihm nie auf.
Wie mag sich Wolfgang Amadé, der Knabe und erwachende Jüngling, zwischen seinen Landsleuten ausgenommen haben? Der winzige, blasse, dauernd kränkelnde und von Pockennarben gezeichnete Bub, der Stubenmensch, diekünstlich entwickelte Treibhauspflanze einer einseitigen Erziehung zwischen rustikalen, pausbäckigen Leuten? Das von frühesten Jahren an beständig überforderte, überreizte, übermüdete Kind zwischen gesunden, derben Gespielen? Den Dialekt der Salzburger hat er gewiß gesprochen, stammte doch die Mutter aus dem nahen St. Gilgen am Wolfgangsee. Der heimischen Kraftausdrücke war er mächtig; sie ergötzten ihn und gaben ihm Gelegenheit, die angeborene Übersensibilität ein wenig zu kompensieren oder zu verbergen. Gleichaltrigen scheint er sich nur oberflächlich angeschlossen zu haben. Als er älter wurde, schäkerte er gern mit den drallen, ein wenig einfältigen Mädchen, war auch mitunter verliebt, wohl auf die unbewußt suchende Cherubino-Art, wie sich das in den langsamen Sätzen seiner frühen Serenaden und Symphonien spiegelt. Eine junge Salzburgerin lief ihm sogar aus dem Kloster nach, um ihn vor der Heirat mit der „Weberischen“ zurückzuhalten: eine Donna Elvira, die ihren Don Giovanni anfleht. Mozart tat sich später etwas zugute auf seine frühen, harmlosen Erfolge. Zur Natur des Salzburger Landes hatte er - einer der wenigen großen Künstler ohne jegliches Naturgefühl - überhaupt keine Beziehung. Das lag an der Erziehung à la mode. Der Vater machte den Sohn zu Hause wie beim Reisen nur auf Kuriositäten aufmerksam. Die Schönheit des Berglandes war dazumal überhaupt noch unentdeckt; der Alpinismus war noch lange nicht im Schwange. Die Berge sah man für nichts Besseres als ein vierschrötiges Verkehrshindernis an.
Die Jahre von 1769 bis 1771 waren eine harte Krisenzeit für die Familie Mozart. Der Knabe Wolfgang Amadé kam in die Pubertät, und ein pubertierender Klavier- und Orgelvirtuose war eine weit geringere Attraktion für die Weltstädte als der kleine, schmächtige Bub in Staatsrock, Perücke und Galanteriedegen. Beim Nannerl, das immerhin schon achtzehn Jahre zählte, offenbarten sich die Grenzen ihrer musikalischen Begabung; sie zeigte sich als guter Durchschnitt. Die Wiener Reise von 1768 hatte Vater Leopold an den Rand des finanziellen Ruins gebracht; die Kinder waren krank geworden, Wien zeigte die kühle Schulter, man hatte Schulden machen müssen, und wäre nicht.der Dr. med. Franz Anton Mesmer, der Entdecker des „animalischen Magnetismus“ gewesen - in „Così fan tutte“ verulkte Mozart später den Mesmerianismus - so wäre nicht einmal die Premiere von „Bastien und Bastienne” zustande gekommen. Die Schaustellung, des Wunderkindes hatte sich überholt; Vater Mozart mußte danach trachten, den heranwachsenden Sohn als Kapellmeister oder Komponist an einem Hofe unterzubringen.
Zu diesem Behufe brach man kurz vor Weihnachten 1769 - nachdem der alte Fürsterzbischof von Schrattenbach Wolfgang Amadé zum salzburgischen Konzertmeister ernannt hatte - schweren Herzens gen Italien auf. Ein bitterkalter Winter machte das Reisen zur Qual. „Das Wolfgangerl sieht aus, als wenn er einen Feldzug getan hätte”, berichtet der Vater; der Knabe hatte sich schwere Erfrierungen geholt, was für seine ohnehin labile Gesundheit, für den unausgesetzt von Grippeanfällen und Zahngeschwulsten geplagten Knaben eine große Belastung war. Vater Leopold, der sich obendrein auch noch für einen geschickten Amateur-Mediziner hielt, verordnete dem kleinen Patienten, der dauernd über Müdigkeit klagte, allerlei „Brust-Latwerge”, „Fieberpulver” und Brechmittel. (Gründlichen Aufschluß über „Mozarts Krankheitsgeschichte gibt Aloys Greithers Buch „Wolfgang Amadé Mozart. Seine Leidensgeschichte“, Heidelberg, 1958). Die erste Italienreise dauerte ganze sechzehn Monate. Eine beständige Folge von Strapazen. Vom August bis Dezember 1771 schloß sich, nach ein paar Monaten Salzburger Aufenthalts, sogleich die zweite Fahrt ins Land der Musik an.
Auf den italienischen Reisen, bei denen Mutter und Schwester zu Hause bleiben mußten, beginnen Mozarts eigenständige Äußerungen über Welt und Menschen. Er zeigt sich sogleich als scharfer Beobachter, wobei er die Menschen - und nur Menschen fesseln ihn - mit dem Blick des geborenen Dramatikers mustert. Die Schilderung, die der Vierzehnjährige von einem Bologneser Mönch gibt, könnte bei Rabelais stehen; jedes Wort verrät den Schöpfer des
Osmin, des Monostatos oder des Leporello. Doch das Problem der Oper ist ihm noch nicht aufgegangen. Seine Opernerstlinge bewegen sich im Zeitgeschmack. Vorab kommt es darauf an, eine „Scrittura” zu empfangen, einen Kompositionsauftrag, ohne den sich damals kaum ein Theaterkomponist an die Arbeit machte. Als Vertragsoper für ‘Mailand entsteht der „Mitridate, Rè di Ponto“, der am zweiten Weihnachtsfeiertag 1770 unter Wolfgang Amadés Leitung uraufgeführt wird. Die zweite Auftragskomposition für Mailand, anläßlich der Hochzeit des österreichischen Erzherzogs Ferdinand mit der Erbprinzessin Maria Ricciarda von Modena, ist die theatralische Serenata „Ascanio in Alba” vom Oktober 1771. Die Hoffnung auf eine Anstellung in Mailand wird durch ein abfälliges Schreiben der Kaiserin Maria Theresia zunichte gemacht. Sie rechnete „le jeune Salzburger” zu den unnützen Leuten.
Mit Mozarts erster italienischer Reise ist viel Anekdotisches verknüpft: die Nachschrift des berühmten Miserere von Allegri aus dem Gedächtnis, die Ernennung zum Ritter vom Goldenen Sporn durch den Papst, die Ernennung zum Maestro di Capella durch die Philharmonischen Gesellschaften von Bologna und Verona, die Begegnung mit Padre Martini, dem Verfechter des altmodischen „Contrappunto osservato”. Das große Italien-Erlebnis besteht für Mozart nicht aus den Ehrungen, die ihm überall zuteil werden, sondern aus der Begegnung mit dem virtuos-brillanten, unbedenklich sensualistischen Belkanto-Stil der Italiener. In Salzburg herrschte die instrumentale Schulung, in Italien regierte der Gesang, in der Opern- wie in der Kirchenmusik. Sind die frühen Salzburger Messen, darunter die festliche Dominicus-Messe von 1769, noch vorwiegend sinfonisch konzipiert, so suchen die Kirchenkompositionen des Italienreisenden, das für Padua geschriebene Oratorium „La Betulia liberata“ und ähnliche Auftragsarbeiten die Verbindung von kantablem und sinfonischem Stil. Ein Leitmotiv von Mozarts ganzem Schaffen klingt auf: die Verknüpfung von italienischem Cantabile und deutscher Sinfonik. Als Frucht der drei Italienreisen - die dritte fiel in den Winter 1772/73 und brachte gleichfalls keine dauerhafte Bindung ein - entwickelte sich der Salzburger Serenadenstil des Jünglings, die Verbindung von südländischem Sensualismus, deutschsinfonischem Ernst und gefälligem Divertissement-Charakter.
In der Geburtsstadt hatte sich mittlerweile das Bild gewandelt. Der gutmütige, greise Fürsterzbischof von Schrattenbach hatte das Zeitliche gesegnet. Sein Nachfolger wurde Graf Colloredo, der nüchtern-kühle, rationalistisch und aufklärerisch gesinnte Sohn des Wiener Reichsvizekanzlers, den Salzburgern gründlich verhaßt wegen seiner Neigung zu josephinischen Reformen, knappem Kalkulieren und wenig leutseligem: Regieren. Colloredo, auf Sparsamkeit bedacht, schränkte die Urlaube seiner Musikbeamten fühlbar ein; der Vizekapellmeister Leopold Mozart und dessen Sohn, der Konzertmeister Wolfgang Amadé,. hatten als Musikbedienstete vornehmlich dem Salzburger Hofe zur Verfügung zu stehen. Mit den Mozarts ließ sich Eindruck auf adelige Gäste machen; im übrigen beachtete man sie kaum, denn der Fürsterzbischof war stockunmusikalisch. Die Urlaubsforderungen Mozarts führten später den Bruch mit Colloredo herauf, keineswegs aber jene Despotenwillkür, die dem einsamen, freud- und freundlosen Kirchenfürsten zu unrecht nachgesagt wird. Mit dem Sommer 1773 begann Mozarts eigentliche Salzburger Zeit: das Cherubino-Stadium seiner Musik vor der Kulisse eines im wesentlichen provinziellen, feudalistisch geordneten, stark ländlich beeinflußten, geistlich regierten Kleinstaats.
KARL SCHUMANN

Divertimento · Serenade · Cassation
„Gestern machten wir eine starke Musik bei Herrn von Mayer” berichtet Leopold Mozart am 24. November 1771 aus Mailand nach Salzburg. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat bei dieser Soirée das Es-dur-Divertimento KV 113 seine Uraufführung erlebt. Wenige Tage nachher traten die Mozarts ihre Rückreise nach Salzburg an. Das Autograph trägt die Überschrift „Concerto ò sia Divertimento à 8 (stromenti) del Sgr. Cavaliere Amadeo Wolfgango Mozart in Milano nel Mese Novemb. 1771”. Das kleine Werk beschäftigte ursprünglich zu den Streichern nur 2 Klarinetten und 2 Hörner. Später, hat Mozart noch je ein Paar Oboen, Englischhörner und Fagotte hinzugefügt, so daß die Möglichkeit bestand, das Divertimento auch in Salzburg aufzuführen, wo es keine Klarinetten in der Hofmusik gab. Damals in Mailand aber bot sich dem jungen Mozart die erste Gelegenheit, Klarinetten in einer eigenen Komposition anzuwenden. Die neuartige Kombination der Instrumente, die der junge Künstler geschickt verwendet, gibt eine nur diesem Stück eigene aparte Klangwirkung. Das Wort „Concerto“ in der Überschrift weist auf solistische Verwendung einzelner Instrumente hin. Tatsächlich treten diese hier, fast nach älterem Herkommen, deutlich gesondert aus dem Pleno hervor; nicht allein die Bläser, sondern stellenweise auch die Geigen, die Bratsche und der Baß. Form und Geist des Werks sind freilich durchaus zeitgerecht. Seinem Charakter, seiner Klangfreudigkeit nach dürfen wir es als eine echte Freiluftmusik ansehen, vielleicht uns den hübschen Hof oder Garten dazu vorstellen, wo es zuerst erklungen sein mag. Auch in Salzburg wird Mozart öfters damit Staat gemacht haben. Durch seine Besetzung (Bläser- und Streichergruppe) bleibt es "durch ein gewisses Vorwiegen der Bläser den späteren Blä‚serdivertimenten und Bläserserenaden Mozarts nahe, während es der aufgelockerte Streicherklang doch wieder den motorisch lebhafteren Streicherdivertimenten annähert. Auch in dieser Beziehung wahrt das eigenartige Stück Sonderstellung in der Mozart-Literatur. Im Gegensatz zum üblichen
Divertimentenbrauch fehlt unserem „Concerto” das zweite Menuett; es weist, wie die Sinfonien vom „Wiener Typus”, nur vier Sätze auf. Die thematische Entwicklung aller Sätze geschieht mit äußerster Knappheit, aber völlig ordnungsgemäß. Die Exposition des ersten Satzes (Allegro, 4/4) bringt in diesem Sinne Hauptthema, Modulationspartie, Seitenthema und Schlußgruppe höchst anschaulich durch kluge Abwechslung der motivisch führenden Streichergruppe mit der vorwiegend überleitenden Bläsergruppe aufgegliedert. Die kurze Durchführung (14 Takte!) hat nur überleitenden Charakter. Bei regelmäßiger Reprise bleibt der ganze Satz ein Musterbeispiel ökonomischer Beherrschung der zu letzter Verdichtung gebrachten Form durch den jugendlichen Meister, ohne den „unterhaltsamen“ Charakter eines Divertimentos auch nur einen Augenblick aus dem Auge zu verlieren. Im „Andante“ (B-dur, 3/4) dominieren die Klarinetten in anmutig gefühlvollem Wechselspiel mit den Streichern. Jedem von beiden ist ein Hauptgedanke zugeteilt. Der zweite Teil des Satzes bringt einen neuen melodiösen Einfall an Stelle des ersten Themas. Auch im zweiteiligen Menuett (Es-dur, 3/4) dialogisieren Streicher und Bläser: derb, ein wenig aufstrampfend, während das Trio (g-moll!) in zartem, gefühlvollem Gegensatz zu jenem anhebt. Das Finale (Allegro, 2/4) in Sonatenform, brillant und beschwingt, der „modernste“ unter den vier Sätzen, mit seiner winzigen Moll-Episode in der Durchführung ein wenig an das „französische Rondeau” erinnernd, wie es Johann Christian Bach damals gerne in seinen Rondo-Sätzen angewendet hat. Mozart kannte solche Sätze von seiner Pariser Reise her.
Die D-dur-Serenade KV 100 gehört zu einer in Salzburg viel gepflegten Gattung, die man „Finalmusik“ nannte. Man verstand darunter eine festliche, oft konzertante Orchester-Musik in Serenadenform, wenn sie zur Schlußfeier der propädeutischen Lehrgänge der Logiker und Physiker an der Salzburger Benediktinischen Universität nach Abschluß der obligaten Diputationen, Anfang oder Mitte August, dortselbst dargeboten wurde. Beide, Vater und Sohn Mozart, haben mehrere Male einen Auftrag zur Komposition einer solchen Festmusik erhalten. Den Aufführungstag unserer Serenade, 6. August 1769, wissen wir durch eine freundliche lateinische Eintragung im Universitätsprotokoll: „Ad noctem musica ab adulescentulo lectissimo Wolfg. Mozart composita“. Das Werk besteht aus acht, vorwiegend knapp gehaltenen Sätzen. An Stelle des sonst bei solchen Serenaden eingeschalteten dreisätzigen „Concertinos“ für eine Solovioline, folgt hier - nach dem festlichen Einleitungssatz (Allegro, 4/4) mit seinem typischen aufstrebenden Fanfarenthema, den üblichen Passagen, dynamischen Kontrasten, den unvermuteten Fermaten und mit hübschen Iyrischen Gegensätzen im sicher hingestrichenen Pleine-air-Stil einer italienischen Theatersinfonia - ein kleines, ebenfalls dreisätziges Concertino für zwei Bläser, Oboe und Horn: zuerst ein stimmungsvolles Andante (2. Satz D-dur, 3/4), das eine holde Reihe ähnlicher, sanft bewegter Mittelsätze im schwebenden dreiteiligen Rhythmus bis zum „Andante grazioso” der berühmten „Posthorn-Serenade” (KV 320) lächelnd eröffnet. Das duettierende Spiel der beiden Instrumente findet im Trio des ersten Menuetts (3. Satz, G-dur) eine schlichte Fortsetzung, um zuletzt, brillanter, doch ein wenig altväterlich, - nach Art der damals fast schon vergessenen „Concerti 'grossi‘ mit ihrem typischen Wechselspiel des Pleno und der Sologruppe - im 4. Satz (Allegro, 2/4) einen freundlichen Ausklang zu finden. Folgt als 5. Satz das zweite Menuett (D-dur) mit Trio (Streicher allein) in der Unterdominante (G-dur). In dem zarten, nokturnenhaften Andante (6. Satz, A-dur, 2/4) tritt ein Flötenpaar an Stelle der beiden Oboen, nur von den sordinierten Streichern begleitet, mit zarter Bescheidenheit in den Vordergrund. Ein drittes, recht kräftiges Menuett (7. ‚Satz, D-dur) wirkt durch ein seltsam dunkles Moll-Trio apart und doch sehr persönlich. Aber das Finale (Allegro, 3/8) in klarer Rondo-Form mit hübschen Zwischenepisoden (zwei davon in Moll) löst die Spannung zu beschwingtem Abschluß. Besetzung: Streicher, 2 Oboen, nur im 6. Satz von 2 Flöten abgelöst, 2 Hörner, 2 Trompeten.
Auch die G-dur-Cassation KV 63 hat der Knabe Mozart als „Final-Musik“ bei einer Universitätsfeier, wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe der D-dur-Serenade KV 100, nur zwei Tage nach dieser, am 8. August 1769, zur ersten Aufführung gebracht. Nach studentischer Tradition verstand man zu Salzburg unter „Cassation” - abgeleitet von dem Begriffe „gassatim (die Gassen lang)-gehen” - eine Festmusik, zu der die Studenten und Musiker abends unter Fackelbegleitung, mit Fahnen, Transparenten und Blumen an den Ort zogen, wo der oder die Gefeierten weilten. Hier wurde nun Aufstellung genommen und die Festmusik begann. (Wir wissen aus der Lebensgeschichte Johann Sebastian Bachs von ähnlichen Festmusiken zu Leipzig). Ein formeller Unterschied zwischen Cassation und Divertimento besteht nicht. Die Besetzung beider Gattungen ist etwas kleiner als die der Serenaden. In unserem Falle: Streicher, 2 Oboen und 2 Hörner. Ein etwas bäuerlicher Marsch (2/4) leitet das Werk ein, eben der Marsch, bei dessen Klängen die Feiernden in Hof oder Garten des Gefeierten ein- und zum Schlusse wieder fortzogen. Der erste Allegro-Satz (4/4), auf einem abstürzenden akkordischen, sofort von den Bässen imitierten Thema der Geigen aufgebaut, entwickelt dieses Thema geschickt in der markanten Durchführung, ohne bei der fröhlichen Motorik seines Ablaufs zarteren Reflexionen irgendwelchen Raum zu lassen. Dafür findet der junge Meister sofort in dem serenadenhaften Andante (C-dur, 2/4), einem „da capo-Stück“ erster Ordnung, reichlich Gelegenheit: Geteilte Violen und die Bässe begleiten, durchwegs „pizzikato“ nach Art eines Guitarrenensembles, die immer leise spielenden, sordinierten Geigen zu schönem, langatmigen Melodisieren. Daß im zweiten Teil des Satzes auch ein typisch Glückscher Einfall miteinbezogen wird, läßt auf Wiener Erinnerungen schließen. Das Menuett (G-dur) führt die hohen und tiefen Streicher geschickt in kanonischer Führung gegeneinander: ein früher Vorläufer des Menuetts in der großen g-moll-Sinfonie (KV 550). Das Trio (g-moll) bringt zu jenem einen zarten, verträumten Gegensatz. Ein Adagio (D-dur, 4/4) stellt eine konzertierende Solo-Violine mit reichlich figurierender Kantilene über den gedämpft begleitenden Streicherchor. Nehmen wir an, daß der Knabe Mozart, damals schon ein sehr geschickter Geiger, dieses Stück bei der Uraufführung selbst gespielt hat. Auch im zweiten Menuett kontrastiert das zarte Trio in der Unterdominante (C-dur) wirksam mit dem holzschnittderben Unisonogedanken des Hauptsatzes. Das Finale (Allegro assai, 6/8) in Rondo-form ist ein echtes Jagdstück, eine „Caccia“, wie sie schon der Vater, Leopold Mozart, in seinen drastischen Suiten gerne aufspielen ließ, wie sie später der Sohn, wesentlich gelöster, an den Schluß seiner Hornkonzerte gestellt hat.
BERNHARD PAUMGARTNER
(Columbia C 91 106)