MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 105 - (p) 1962
1 LP - 1 C  037-45 572 - (p) 1962
1 CD - 9 28337 2 - (p) & (c) 2013

DRESDEN - Am sächsischen Hofe




Antonio Vivaldi (1678-1741) Concerto g-moll F. XII, 3 "Per l'orchestra di Dresda" per Violino, 2 Flauti, 2 Oboi, 2 Fagotti, archi e Cembalo
A1

- Allegro 4' 27"

- Largo non molto 1' 49"

- Allegro 4' 04"

Hans Gieseler | Berlin Philharmoniker | Hans von Benda, Dirigent

Johann Georg Pisendel (1687-1755) Largo aus der Sonata à Violino solo senza Basso - Herausgegeben: Günther Haußwald - Hortus Musicus 91
3' 04" A2

Helga Thoene, Violine

Leopold Sylvius Weiss (1686-1750) Fantasie -Tabulatur 1719, Prag, eingerichtet von Eugen Müller-Dombois 2' 11" A3

Eugen Müller-Dombois, Barocklaute

Johann David Heinichen (1683-1729) Pastorale per la Notte della Nativitate Christi (Weihnachtspastorale) - Herausgegeben: J. Bachmair (Breitkopf & Härtel)
5' 51" A4

Eugen Müller-Dombois, Laute | Heinz-Friedrich Hartig, Cembalo


Berliner Philharmoniker | Wilhelm Brückner-Rüggeberg, Dirigent

Johann Adolf Hasse (1699-1783) Arminio - aus der Oper - Herausgegeben: Rudolf Gerber

B1

- Ouvertüre (Sinfonia) - Allegro con spirito · Alla Polacca · Allegro assai 5' 34"

- Rezitativ: "Son par sola una volta" (Tusnelda) 2' 09"

- Arie: "Se col pianto e coll'affanno" (Tusnelda) 7' 49"

Marlies Siemeling, Sopran | Heinz-Friedrich Hartig, Cembalo | Eberhard Finke, Violoncello



Berliner Philharmoniker | Wilhelm Brückner-Rüggeberg, Dirigent


Konzert G-dur für Flöte, Streicher und Basso continuo - Herausgegeben; Richard Engländer (Nagels Verlag Kassel)
B2

- Allegro 2' 54"

- Grave 3' 59"

- Allegro assai 2' 49"

Heinz Zöller, Flöte | Wolfgang Meyer, Cembalo



Die Berliner Philharmoniker | Wilhelm Brückner-Rüggeberg, Dirigent




 
Interpreters (see above).
 






Luogo e data di registrazione
Berlin-Grunewald & Berlin-Zehlenforf (Germania) - febbraio, marzo & novembre 1961

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Fritz Ganss / Christfried Bickenbach / Horst Lindner

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 105 - (1 LP) - durata 47' 15" - (p) 1962 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1 C 037-45 572 - (1 LP) - durata 47' 15" - (p) 1962 - Analogico

Edizioni CD
EMI Music - 9 28337 2 - (1 CD) - durata 47' 15" - (p) & (c) 2013 - ADD

Cover
Blick auf Dresden im 18. Jahrhundert, Stich von B. Probst nach Canaletto - Privatsammlung Leverkusen












Die Dresdner Hofkapelle
Unter dem verstaubten Aktenmaterial des Dresdener Oberhofmarschallamtes haben sich aus der Zeit August des Starken kleine Stoffproben erhalten. Man streicht über brüchig gewordene Seide und erkennt in ihren ein wenig verblaßten Farben einige Nuancen, wie sie der Hofchronist eines Damen-Ringelstechens am 6. Juni 1709 so exakt beschrieben hat: „Couleur de Cerise, Couieur de Rose, Incarnat, Violet, Bleu foncé, Bleu mourant, Bleu céleste...", die Schattierungen von Gelb, Braun, Grün, Weiß - für jedes Gewand der 24 Damen des sächsischen Adels eine andere Farbtönung, wichtig genommene Unterscheidungen, und doch nur winziges Detail eines Festprogramms, das über einen Monat lang den Besuch des Dänenkönigs Friedrich IV. in Dresden feierte. Die Schlacht bei Pultawa war siegreich geschlagen, die Krone Polens neu errungen, der Krieg vorbei. Dresden, in den ersten Jahren der polnischen Ära Augusts des Starken durch das fremdartige Warschau als Festschauplatz abgelöst, bewährt sich erneut als Mittelpunkt großer Feste. Der Staatsbesuch des dänischen Verbündeten ist der politische Anlaß zu Feiern, die zur triumphalen Demonstration von Macht und Reichtum werden.
Tag für Tag wechseln die Veranstaltungen: Jagden und Preisschießen, ein Fußturnier auf dem Altmarkt, abends Komödien und Redouten, italienische und französische Oper, Maskeraden von Göttern und Bauern. Bei dem Karussellrennen der „Vier Weltteile“ führt der dänische Gast die europäische Esquadrille an, August der Starke die afrikanische; der Adel repräsentiert sich im ritterlichen Wettkampf, Höhepunkt des vorangegangenen Aufzuges, bei dem allein 60 Trompeter, 10 Paukisten, 84 andere Musikanten und auf zwei Festwagen über 30 Mitglieder der Hofkapelle mitwirkten. Das anmutige Fest der 24 aristokratischen Damen spielt sich in dem neu erbauten hölzernen Amphitheater ab. Dann wechselt die Szenerie. Auf der Elbe ist alles für eine kriegerische Vorführung bereit. Der Meeresgott Neptun taucht auf und singt eine kämpferische Arie. Ein Chor von Najaden grüßt das erlauchte Publikum. Unterdessen ist es vollends Nacht geworden. Böllerschüsse kündigeb eine neue Überraschung an. Langsam gleiten, von unzähligen Wachslichtern und  Flambeus illuminiert, schiffe heran, bis in die Nähe der königlichen Loge. Und dann erklingt vom Wasser her „eine unvergleichliche, prächtige Music“: Allegorische Gestalten, La Pace e Marte, von der Hofkapelle begleitet, führen eine dramatische Serenade des kaiserlichen Kammerkomponisten Carlo Badia auf. Zum Abschluß, als nicht mehr zu steigernder Effekt: das Feuerwerk. Im sprühenden Licht, unter dem Zischen der Raketen und dem Donnern der Kartaunen wird in drei militärischen Attacken ein Kastell erobert. Auf dem oberen Felsen des Festungswalls leuchten in grünen Lichtern die Initialen des Dänen auf, eine letzte Reverenz vor dem königlichen Gast. So endet der Abend, endet ein Tag von vielen Festtagen, jeder originell, jeder als kostbare Einmaligkeit gepriesen und erlebt.
Es ist nicht nur Aufwand an äußerem Pomp, der in bunter Vielfalt und mit allem Raffinement vor einem beifällig staunenden Publikum (und das heißt: vor der Aristokratie Europas, die davon erfahren soll) ausgebreitet wird. Die künstlerisch sichere Formung jedes Details, seine sinnvolle Beziehung zum Ganzen, die Durchsetzung aller Veranstaltungen mit geistigen Elementen - alles das erhebt diesen Festzyklus von 1709 über eine Schaustellung des bloß Materiellen.
In prächtigen Folianten haben Chronisten und Poeten die Feste des Dresdener Hofes minuziös beschrieben und pathetisch verherrlicht, Maler und Kupferstecher die Repräsentationen bildlich dargestellt.
Der Aufzug heidnischer Götter und Göttinnen von 1709 war schon einmal, bei dem Karnevalsfest 1695, durch die Straßen der Stadt gezogen. In Gouachen und Kupferstichen sind uns die elf antikisierenden Gruppen überliefert. Zum ersten Male wirkten bei einem Festzuge Damen des Hofes mit. Eine sicher in Hofkreisen heimlich belächelte Rollenbesetzung: die schöne Aurora von Königsmark, derzeitige Favoritin Augusts des Starken, lenkte als Göttin Aurora den Sonnenwagen Apolls. Auf einem als Parnaß verkleideten Festwagen waren als die Neun Musen (seit der Renaissance bevorzugtes Motiv Dresdener Hoffeste) vornehme Damen placiert, jede ein anderes Instrument in der Hand. Und sie sangen „lieblich als die Engel“.
Eines von vielen Beispielen für die enge Verbindung von Fest und Musik. zugleich auch für die Mitwirkung des Adels, der allerdings in den Inventionsauzügen um 1600 und in den Sing- und Opern- balletten des 17. Jahrhunderts eine weitaus größere Rolle gespielt hatte. Mit der wachsenden Verpflichtung von Berufskräften wechselt der Adel nach und nach in die Rolle des Publikums über. Das Divertissement Les quatre Saisons „mit untermischten Balletten, wovon die Acteurs als auch die Täntzerin und Täntzer aus adelichen Standes Personen bestunden“, im Naturtheater des Großen Garten bei dem berühmtesten aller Dresdener Hoffeste, den Vermählungsfeierlichkeiten von 1719, aufgeführt, ist fast schon eine Ausnahme.
Die Vorbereitungen zu dieser Hochzeit des sächsischen Kurprinzen und der Kaisertochter aus Wien, ein politisches Ereignis par excellence, hatten viele Kräfte beansprucht. Von den gewaltigen Neu- und Umbauten angefangen bis in die kleinste Regieanweisung war alles sorgsam bestimmt und vieles, Skizzen und Notizen zufolge,vom Landesherrn selbst dirigiert. Für die Zwecke der Musik, Teil der Gesamtmanifestation aller Künste, war das damals größte deutsche Opernhaus errichtet worden, das seine Erbauer in den nach der Sophienkirche hin gelegenen Winkel des Zwingers eingefügt hatten. Die feierliche Eröffnung des Hauses mit Antonio Lottis Giove in Argo am 3. September 1719, einen Tag nach dem zeremoniellen Einzug der Braut, leitete eine musikdramatisch bedeutende Epoche Dresdens ein, die in der Ära Hasses einen ersten Höhepunkt erleben sollte. In zehn Jahren, seit 1709, war die Hofkapelle planmäßig ausgebaut worden. Ihren Ruhm begründeten hervorragende Virtuosen: die Violinisten Pisendel und Veracini, der Kontrabassist Zelenka, der Flötist Buffardin, der Theorbist Weiß.
Glänzende Gesangssterne Europas, darunter die Altistin Tesi und der Kastrat Senesino, vereinigten sich zu einem Ensemble, das seinesgleichen suchte. (Händel kam eigens aus London herbei, um Vertragsabschlüsse für sein Opernunternehmen zu tätigen.) Französisches und italienisches Schauspiel, eine polnische Kapelle, nicht zuletzt das Hofballett mit dem berühmten Louis de Poitier und der Primaballerina Duparc, der geniale Bühnenbildner Alessandro Mauro - sie alle waren eingespannt in einen Festplan, dessen straffe Gliederung auch die Feste späterer offizieller Anlässe, etwa zum Besuch des Preußenkönigs 1728 und zu dem Manöver in Zeithain 1730, in den Schatten stellen sollte.
Wie bei der berühmten „Durchlauchtigsten Zusammenkunft“ 1678 vollzieht sich das Hochzeitsfest von 1719 unter dem Patronat der VII Planeten. Zu Beginn - betonter Akzent, im Garten des späteren japanischen Palais nachmittags aufgeführt - eine Serenade derer Sieben Planeten. In einem duftigen Kranz von Wolken (einer Maschinerie im Freien) erscheinen der Reihe nach die Götter, von denen „ein jeder die hohe Herrschaft zu einem besonderen Festin“ einlädt. Augen-, aber auch Ohrenschmaus, denn der Komponist Johann David Heinichen bringt in seinem Werk nicht nur die Kehlvirtuosität der italienischen Sänger und Primadonnen, sondern auch das meisterhafte Können der instrumentalisten, z. B. in anspruchsvollen Theorbenpartien für Sylvius Leopold Weiß zur Geltung. - Bei der feierlichen Einweihung des Zwingers, dieser von Matthias Daniel Pöppelmann, dem „reichsten Genie des ganzen Barock“, geschaffenen steinernen Festdekoration, dominiert am 15. September Jupiter. Vor dem Karussell der Vier Elemente erscheint der Gott selbst auf dem Chaos, bei dem „ein dreytacher Globus... einer in den anderen sich beweget“. Zu diesen raffinierten Maschinenkünsten singt Jupiter - es ist der Altist Boschi - eine italienische Arie Lottis. Und dann wird das Chaos (1000 Taler wert) vor der königlichen Loge zerstört. - Zu Ehren der Göttin Diana wird eine Wasserjagd auf der Elbe veranstaltet. Nachdem der Hof am Ufer unter einem Jagdzelt Platz genommen hat, nähert sich auf einer reich verzierten Gondel Diana, die mit ihren Nymphen vor einem Muscheldekor thront. Vor ihr, im Fond des Schiffes, musiziert in „grünen Daffnen Kleidern“ das Orchester. Serenata fatta sull'Elba heißt die Komposition Heinichens, die mit häufig verwendeten Corni da caccia das Kolorit dieses Jagdfestes unterstreicht. So reiht sich eine Planeten-Lustbarkeit an die andere, umrankt von zahlreichen anderen Veranstaltunden. der Großen Oper, Marionettentheater oder einem Türkischen Fest, das uns das originelle Bild einer Tafelmusik beschert hat. Mit unerhörter Erfindertreudigkeit haben sich Künstler von europäischem Rang zur Ausschmükkung vereint und das Typische mit allem Beiwerk sinnfällig gemacht. Wenn am Schluß, bei dem Saturnfest im Plauenschen Grunde am 26. September, aus dem illuminierten felsigen Gelände die Inschrift „CONSTELLATlO FELIX“, von den sieben Planetenzeichen umrahmt, aufleuchtet, so ist dies ein sichtbares Symbol für die bis ins letzte durchdachte Gesamtdisposition eines Festes, das sich in allem und jedem an die höchste politische Adresse wendet - Verherrlichung absolutistischen Fürstentums.
Irmgard Becker-Glauch

Antonio Vivaldi
Antonio Vivaldi war einer der bedeutendsten italienischen Geiger und Komponisten des 18. Jahrhunderts. Um 1675, spätestens 1678 in Venedig geboren, wuchs er als Schüler seines Vaters auf, der Geiger im Orchester von San Marco war. Möglicherweise hat er auch bei Giovanni Legrenzi studiert. 1703 erhielt er die Priesterweihen; wegen seiner roten Haare wurde er als „prete rosso“ bezeichnet. Er wirkte zunächst als Violinlehrer, später als Konzertmeister und Komponist an dem venezianischen Mädchenkonservatorium della Pietà; unter seiner Leitung erlangten die Konzerte internationalen Ruf. Vermutlich war er von 1720 bis 1723 in Mantua als Hofkapellmeister des Markgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt tätig, der dort als Statthalter amtierte. Zahlreiche Konzertreisen und Aufführungen seiner Opern führten ihn nach Wien, Amsterdam und in viele italienische Städte. Er starb völlig verarmt in Wien, wo er am 28. Juli 1741 begraben wurde.

Johann Georg Pisendel
Johann Georg Pisendel, am 26. Dezember 1687 im fränkischen Kadolzburg geboren, stieg rasch zu den führenden deutschen Geigern der damaligen Zeit empor. Nach Jahren als Kapellknabe in Ansbach studierte er seit 1709 an der Universität Leipzig, dirigierte dort die Oper, wurde aber bereits 1712 als geschätzter Violinist an die Dresdener Hofkapelle verpflichtet. 1714 reiste er mit dem dortigen Konzertmeister Volumier nach Paris, 1716 studierte or bei Vivaldi in Vebedig, im nächsten Jahre bei Montanaru in Rom. 1728 übertrug man ihm die Stelle eines Hotkonzertmeisters in Dresden. Pisendel, zweifellos einer der kühnsten Virtuosen des deutschen Musikbarocks, der traditionellen Geist mit weltoffener Haltung zu verschmelzen suchte, starb am 25. November 1755 in der Stadt seiner Wahlheimat.

Sylvius Leopold Weiss
Sylvius Leopold Weiß ist gebürtiger Schlesier. Am 12. Oktober 1686 in Breslau geboren, von seinem Vater als Lautenist ausgebildet, reiste er von 1708 bis 1714 mit dem polnischen Prinzen Sobieski nach italien, wirkte danach als Lautenist in Kassel und in Düsseldorf, seit 1717 in der Hofkapelle zu Dresden, wo er im nächsten Jahr als hervorragender Könner seines instruments zum Kammervirtuosen ernannt wurde. Von Reisen nach Wien und Berlin abgesehen, blieb er Dresden treu bis zu seinem Tode am 15. Oktober 1750.

Johann David Heinichen
Johann David Heinichen kommt aus dem Dorfe Krössuln in der Nähe von Weißenfels, wo er als Pfarrerssohn am 17. April 1683 geboren wurde. Nach Absolvierung der Leipziger Thomasschule unter Schelle und Kuhnau studierte er an der dortigen Universität Rechtswissenschaft, wurde Advokat in Weißenfels, trat aber gleichzeitig in Leipzig als Komponist mit frühdeutschen Opern hervor. Nach einer kurzen Tätigkeit als Hofkomponist in Zeitz reiste er als Stipendiat nach Italien und erzielte besonders in Venedig nachhaltige Erfolge. Prinz Friedrich August von Sachsen berief Heinichen 1717 von dort aus nach Dresden als Hofkapellmeister, wo ihm ein hervorragendes Orchester mit Volumier, Pisendel, Weiß und weiteren Solisten von Rang für Oper, Kammer und Kirche zur Verfügung stand. Er starb in Dresden am 16. Juli 1729.

Johann Adolf Hasse
Johann Adolf Hasse war als Meister der Oper hochberühmt. Am 25. März 1699 in Bergedorf bei Hamburg getauft, wirkte er zunächst als Tenor in Hamburg und Braunschweig, ging 1722 nach Neapel, wo er als Schüler Porporas und Alessandro Scarlattis Erfolge als Komponist eryielte. 1727 amtierte er als Kapellmeister am Conservatorio degli Incurabili in Venedig, heiratete die gefeierte Primadonna Faustina Bordoni und entfaltete nach 1730 als Kapellmeister in Dresden einen höfisch-barocken Prunkstil, der europäischen Ruf genoß. Zahlreiche Kunstreisen führten das Ehepaar in alle Musikzentren von Rang. Hasse, der in Italien nur als „il divino sassone“, als „der göttliche Sachse“, bezeichnet wurde, starb am 16. Dezember 1783 in Venedig.
G. H.



Antonio Vivaldi: Concerto g-moll
Der Bedeutung Vivaldis ist in erster Linie darin zu sehen, daß er dem italienischen Solokonzert des 18. Jahrhunderts ein fest gefügtes Gepräge verlieh. Es entstand eine für die europäische Barockmusik ungemein wichtige und charakteristische Form, die namentlich auf deutschem Boden durch Johann Sebastian Bach aufgegriffen wurde. Der Aufbau der Werke wird meist durch eine klare Dreisätzigkeit gekennzeichnet. Kecke Ecksätze mit plastischen Orchesterritornellen und virtuos ausgezierten konzertanten Episoden umrahmen vielfach einen sehr intim gehaltenen Innensatz. Auch das vorliegende g-moll-Concerto weist diese Gesetzmäßigkeit auf. Wie der Zusatz „Per l'orchestra di Dresda“ erkennen läßt, ist das Werk für die damalige Dresdener Hofkapelle bestimmt gewesen. Aus gutem Grund, denn besetzungsmäßig werden zahlreiche Holzbläser gefordert (2 Flauti, 2 Oboi, 2 Fagotti). Dresden aber durfte sich rühmen, hierfür besonders geeignete Kräfte zu besitzen. Hochbarockes Lebensgefühl spricht aus diesem Werk. Man achte auf die scharf geschnittenen thematischen Konturen, auf die Kantabilität der melodischen Linie, aber auch auf die herbe Strenge im Ausdruck, bei dem musikalische Logik mit Tiefe der Empfindung sich aufs glücklichste paart.

Johann Georg Pisendel: Largo
Das kurze Stück bildet den Eröffnungssatz einer Sonate für Violine allein ohne Baß. Rhapsodisch frei ausschwingend gehalten, wechselt einstimmig melodische Linie mit kühner Akkordballung. Doppel-, Tripel- und Quadrupelgriffe lassen ahnen, daß es sich hier um virtuose Musik von höchster Konzentration handelt. Derartige Zusammenklänge widerstreben an sich dem Wesen der Violine, die in ihrer Spieltechnik auf rein lineare Entfaltung gerichtet ist. Wie aber in diesem Satz akkordisches Klanggefüge von improvisierender Kantilene abgelöst wird, das offenbart schlagartig die ganze Weite und Tiefe barocken Denkens, das niemals auf Polyphonie allein gerichtet ist, sondern gleichermaßen von der Freude am Ornament, von der Vision des Irrationalen wie vom Willen nach reich gegliederter Architektur bestimmt ist. Von hier aus lassen sich ohne Zwang Brücken zu Bachs hochberühmtem Zyklus von Sonaten und Partiten für Violine allein schlagen, von denen man wohl mit Recht annimmt, daß der Thomaskantor sie für Pisendel komponiert hat.

Sylvius Leopold Weiß: Fantasie
Die Laute hat im Barock stets eine besondere Wertschätzung erfahren. Als Generalbaßinstrument unentbehrlich, erfüllte sie darüber hinaus wichtige solistische Aufgaben. Man schätzte die aus reicher Tradition erwachsene zärtliche Musik besonders, vor allem, wenn sie das spielerisch-improvisatorische Element betonte, wie es auch in dem vorliegenden Stück der Fall ist. Die Fantasie ist als Tabulatur, d. h. in einer besonderen Griffschrift für das Instrument überliefert worden. Die Aufzeichnung erfolgte im Jahre 1719. Die Übertragung und deren klangliche Realisation läßt deutlich werden, welch intimer Reiz in solcher Musik verborgen sein kann.

Johann David Heinichen: Weihnachts-Pastorale
Das „Pastorale per la Notte della Nativitate Christi“ muß als ein Meisterwerk altklassischer Weihnachtsmusik bezeichnet werden. Selten ist der Zauber echter Hirtenstimmung so eindrucksstark eingefangen worden, wie es hier der Fall ist. Die leichtwiegenden punktierten Rhythmen der Musik, die kaum eine gedanklich-thematische Entwicklung bringen, sondern vielmehr ganz das Atmosphärische der Weihnacht aufgreifen, schaffen einen gar behutsamen, überaus zärtlichen Siciliano-Stil, der bei einem deutschen Komponisten völlig überrascht. Aber gerade das hatte der spätere Dresdener Hofkapellmeister in Venedig gelernt. Der sonst so gelehrte Kontrapunktiker liebte die pastellfarbenen Töne, die weichen und oft verschwommenen Farben. Oft vermochte er seinen Akkordfolgen ganz duftigen Glanz zu geben. Die Sonne des Südens hat auch seine Musiksprache verzaubert, und die frohe Botschaft von der Geburt Christi zwingt ihn zu einem pastoralen Stimmungsbild ganz individueller Art.

Johann Adolf Hasse: Ausschnitte aus der Oper „Arminio“
Der Wert der Opern Hasses ist bis zur Stunde noch keineswegs genügend erhellt. Etwa 80 Opern stammen aus seiner Feder, und nur allzuleicht war man geneigt, sie vielfach als Routinearbeiten zu betrachten. In Wirklichkeit handelt es sich bei Hasse um einen Meister des Dramatischen, der im Sinne Metastasios mit der Typik der Situationen eine Musikoper aufbaute, die zwar ganz im Banne rationalistischer Denkweise stand und dennoch ein hohes Maß von individuellem Eigenleben erkennen laßt. Zweifellos ist es Hasse gelungen, im Bereich der Opera seria über äußerliche Schemata zu einer echten Menschenzeichnung vorzustoßen. Das zeigt nicht nur so manches Rezitativ, sondern spiegelt sich vor allem auch im weit gespannten Atem seiner Arienkunst, die er zwar logischer Ordnung und innerer Gesetzmäßigkeit im formalen Charakter unterwirft, die aber doch stets das Hintergründige des Persönlichen spüren läßt. In erster Linie freilich kommt es ihm auf die Darstellung des jeweiligen Affekts der handelnden Personen an. Hier überhöht er oft die literarische Vorlage Metastasios und gibt ihr musikalische Kontur und gesteigertes Profil. Bereits 1730 hatte Hasse den Arminio-Stoff vertont. Die dreiaktige Oper nach Salvi kam in Mailand zur Uraufführung. Für eine zweite Arminio-Oper schrieb Pasquini den Text. Sie steht auf völlig anderer Grundlage als das erstgenannte Werk. Am 7. Oktober 1745 wurde sie am Dresdener Hoftheater erstmals auf Wunsch König Friedrichs II. von Preußen aufgeführt, der damals in Dresden weilte. Die beiden Ausschnitte aus dieser Oper zeigen einmal den glänzenden Sinfoniker, der in einer typisch dreisätzigen Ouvertüre Brillanz, Kraft und Glanz im orchestralen Sinne zu entfalten vermag. Das Rezitativ und die Arie der Tusnelda dürfen gleichfalls als charakteristische Proben Hassescher Operndramatik angesprochen werden. Sorgsame Sprachbehandlung, intensiv gesteigertes italienisches Melos sind ihre Vorzüge.

Johann Adolf Hasse: Konzert G-dur
Ein reizvolles dreisätziges Konzert, das den einfallsreichen Melodiker deutlich erkennen läßt. Zwar ist auch hier jener typische Musikstil nach Form und Gehalt spürbar, wie ihn der Geist der Zeit so stark ausgeprägt hat, doch bleibt genug des interessanten, des Aparten, das diesem Konzert geistige Spannweite sichert. Die drei Sätze spiegeln einen hochbarocken, italienisch geprägten Musizierstil, wie er am Dresdener Hof damals besonders gepflegt wurde. In den raschen Sätzen fesselt die Kraft des thematischen Einfalls wie der konzertante Schmuck. Der Innensatz wird ganz von edlem, pastosem Ausdruck getragen. Höfische Gesellschaftskunst in kammermusikalischer Prägung hat sich hier zu selten schöner Eindringlichkeit verdichtet.
Günter Hausswald
(EMI Electrola 1 C 037--45 572)