MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - SMC 91 118 - (p) 1966
1 LP - 1 C 037-45 578 - (p) 1966
1 CD - 9 28335 2 - (p) & (c) 2013

HANNOVER - Eine festliche Soirée in Herrenhausen




Johann Heinrich Schmelzer (um 1623-1680) Sonata con arie zu der kaiserlichen - Serenada (1672) - für 3 Trompeten, Streicher & B.c.


1. Sonatina 1' 30" A1

2. Intrada 0' 46" A2

3. Aria 0' 36" A3

4. Canario 0' 25" A4

5. Aria 0' 46" A5

6. Sonatina 1' 30" A6




Antonio Sartorio (um 1620-1687) 7. Sinfonia aus L'Adelaide - für 2 Trompeten, Streicher & B.c. 1' 22" A7




Jean-Baptiste Lully (1632-1687) Suite aus der Comédie Les amants magnifiques - für 2 Floten, 2 Oboen, Fagott, Streicher & B.c. (2 Lauten & Cembalo)


8. Ouverture 2' 04" A8

9. Danse des Pécheurs 1' 00" A9

10. Danse de Neptune 1' 13" A10

11. Les suivants de Neptune 1' 04" A11

12. Symphonie des Plaisirs 0' 56" A12

13. Menuet pour les Faunes et les Dryades 1' 02" A13

14. Ritournelle pour les Flûtes 1' 15" A14

15. Les Pantomimes 2' 05" A15

16. Air des Pantomimes 0' 51" A16

17. Les porteurs de Haches 0' 50" A17

18. Les Hommes et Femmes armés
1' 11" A18




Agostino Steffani (1654-1728) 19. "Il Turno", Oper - Arie: Il dolce respiro (Lavinia) 2' 52" A19

20. "La lotta d'Ercole con Acheloo", Oper - La lotta für Streicher & B.c. 2' 10" A20




Georg Friedrich Händel (1685-1759) "Amadigi", Oper


21. Sinfonia 1' 29" B1

22. Rezitativ: D'un sventurato amante - 0' 41" B2

23. Arie: Pena tiranna, io sento al core (Dardano) 5' 03" B3

24. Arie: Ah! spietato (Melissa) 5' 37" B4

25. Rezitativ: Mi deride l'amante - 0' 29" B5

26. Arie: Desterò dall'empia Dite (Melissa) 4' 13" B6

27. Rezitativ: Addio, crudo Amadigi! - 1' 23" B7

28. Arie: Io già sento l'alma in sen (Melissa) 1' 42" B8




Francesco Venturini (um 1675-1745) 29. Ouverture a-moll (um 1700) - aus: Concerti da camera op. 1 - für 2 Flöten, 2 Oboen, Fagott, 2 Soloviolin, Streicher & B.c. 7' 15" B9



 
Teresa Zylis-Gara, Sopran (24,25,26,27,28) Consortium Musicus / Fritz Lehan, Leitung
Ursula Terhoeven, Mezzosopran (19,22,23) - Edward H. Tarr, Walter Holy, Robert Bodenröder, Trompete

- Hans Paar, Willi Büchel, Flöte

- Helmut Hucke, Hans-Ludwig Hauck, Oboe

- Hans Rudolf Seith, Fagott

- Eugen M. Dombois, Michael Schäffer, Laute

- Wenzel Pricha, Pauke

- Werner Neuhaus, Wolfgang Lindenau, Violine

- Hugo Ruf, Cembalo
 






Luogo e data di registrazione
Martin-Luther-Haus, Köln (Germania) - marzo 1966

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Gerd Berg / Christfried Bickenbach / Ernst Rothe

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 118 - (1 CD) - durata 53' 55" - (p) 1966 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1 C 037-45 578 - (1 CD) - durata 53' 55" - (p) 1966 - Analogico

Edizioni CD
EMI Music - 9 28335 2 - (1 CD) - durata 53' 55" - (p) & (c) 2013 - ADD

Cover
Der Garten von Herrenhausen - Kupferstich von J. von Sasse












Musikleben am Hofe zu Hannover
Die Musik spielt in Hannover, wie es scheint, erst seit der lutherischen Reformation eine bemerkenswerte Rolle. Aus dem Mittelalter ist, außer einigen liturgischen Fragmenten, musikalisch nichts überliefert, was den Anspruch auf Außergewöhnliches erheben könnte. Kirche und Schule sind um 1500 die Träger einer mehr oder weniger bedeutsamen Musikpflege, die in ihren Auswirkungen jedoch gering bleibt. Der kompositorische Nachlaß des ersten protestantischen Kantors ANDREAS CRAPPIUS (1542-1623) bestätigt mit 3 Meßvertonungen, 20 Motetten und 23 dreistimmigen deutschen Liedern, einigen Hochzeitscarmina, besonders aber mit dem auch außerhalb Hannovers viel beachteten Lehrbuch Musica artis Elementa... Sampt einer Deutschen Musica (Helmstedt 1599) das musikalisch rege Leben am Ratsgymnasium und in der Marktkirche. Die Musik auf Festen und bei Belustigungen besorgten die Spielleute; seßhaft und in geordneten Verhältnissen lebend auch Stadtpfeifer genannt. Der Rat der Stadt gewährte ihnen Privilegien und den notwendigen Gewerbeschutz. Insgesamt lag die Musikpflege in den Händen der Bürgerschaft.
Eine überregionale Musikkultur, die von sich reden machte, konnte jedoch erst gedeihen, als sie in kraftvoll fördernde Hände kam. Das war nicht vor Februar 1636, als Herzog Georg von Calenberg Hannover zu seiner Residenz erhob. Zur Huldigungsfeier im Rathaus spielte damals der hoch geachtete Organist der Marktkirche, MELCHIOR SCHILDT (1593-1667), Schüler des berühmten Jan Pieters Sweelinck, mit dem Stadtpfeifer Conrad Schlothawer und etlichen Gesellen mehrere Instrumentalstücke. Kurz danach wird die Hofkapelle gegründet. In den Kammerrechnungen des Jahres 1636/37 sind bereits fest angestellte Musiker aufgeführt. Um 1640 hat der Dresdner Hofkapellmeister HEINRICH SCHÜTZ vorübergehend in Hannover gewirkt; zweifellos gab er der hannoverschen Hofmusik bedeutende Impulse. Spuren seiner künstlerischen Tätigkeit sind leider nicht mehr zu finden.
Als Herzog Johann Friedrich 1665 die calenbergischen Lande übernahm, entwickelte sich die Musik am hannoverschen Hofe zu neuer, eindrucksvoller Blüte. Es war die Zeit nach dem 30jährigen Krieg, in der sich die Einflüsse Frankreichs und ltaliens vor allem formbildend bemerkbar machten. Der Fürst legte besonderen Wert auf die musikalisch sorgfältige Ausgetaltung der Gottesdienste Er war zum katholischen Glauben übergetreten und nachdrücklich daran interessiert, die Kirchenmusik auf den möglichen Höchststand zu bringen. Den Organistendienst nahm in der nunmehr katholischen Schloßkirche der Italiener ANTONIO ZAMBELLI, der bereits 1667 von seinem Landsmann MATTHIO TRENTO abgelöst wurde. Über Herkunft, Ausbildung und das weitere Schicksal dieser beiden Organisten ist nichts bekannt. Für den Figuralgesang während der Gottesdienste sorgten italienische Berufssänger. Vor einigen Jahren kamen Reste von Stimmbüchern des Musikalienbestandes der Schloßkirche wieder zum Vorschein. Es handelt sich um wertvolle Drucke aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie stammen aus Paris, Rom und Venedig. Die in diesen Büchern enthaltenen Meßkompositionen, Motetten, Litaneien und Magnificat-Vertonungen sind instrumental reich ausgestattet und zumeist für Solostimmen besetzt. Auch weltliche Arien und Instrumentalstücke wurden gefunden. Die Komponisten sind D. BONIFATIO GRATIANI (1605-1664), HORATIO TARDITI († um 1650) und der französische Hofkompositeur HENRI DU MONT (1610-1684). Als Herzog Johann Friedrich im Dezember 1679 verstarb, verschwand diese Musik, da in der Schloßkirche wieder lutherische Gottesdienste abgehalten wurden. Die evangelische Kirchenmusik hatte bei Hofe während der Regierungszeit des katholischen Landesherrn ein nur bescheidenes Dasein gefristet. Für die Entwicklung der Hofkapelle und damit für die Pflege der weltlichen Musik ist das Jahr 1666 entscheidend gewesen. Mit den aus Celle verpflichteten Musikern, dem Gambiisten CLAMOR HEINRICH ABEL, dem Violinisten NIKOLAUS ADAM STRUNGK und dem Baßviolisten ULRICH STIEFEL waren drei Künstler von Rang gewonnen. Sie bildeten den Stamm des Instrumentalensembles und beeinflußten dank ihres hervorragenden Könnens den Stil der höfischen Kammermusik, die sich damals von der frühbarocken zur hochbarocken Musizierpraxis wandelte. Strungk war der bedeutendste deutsche Geiger seiner Zeit. Arcangelo Corelli soll sein Spiel aufs höchste bewundert haben. Durch Strungk, dessen Kompositionen fast alle verloren gegangen sind, wurden sehr wahrscheinlich die italienischen Formtypen der Triosonate und des Concerto grosso in Hannover bekannt. Interessante Mischformen vokaler und instrumentaler Prägung kamen zudem in zahlreichen Drucken aus Frankreich. Sie machten sich nicht nur in der Kirchenmusik bemerkbar, sondern gaben ebenso eindringlich der Gesellschaftsmusik in Suiten, Solostücken und Kantaten reizvolle Abwechslung. Wir sind heute über die vielfältige Musik jener Jahre, die durch den Musikerkreis am Hofe von Versailles stark beeinflußt wurde, ziemlich genau orientiert. Fast alles, was in Paris gedruckt erschien, kam in fein gebundenen Exemplaren auch nach Hannover und fand in den Vortragsfolgen der Hofkapelle den ihnen gebührenden Platz. Mit besonderer Liebe pflegte man die Werke von JEAN BAPTISTE LULLY. Alle seine gedruckten Werke waren in Hannover vorhanden. Neben virtuoser Lautenmusik boten vor allem die reizenden Cembalokompositionen aus der Einflußsphäre von Couperin, Chambonnière, Le Bègue und d'Anglebert eine Fülle unterhaltsamer Kunst. Jüngst aufgefundene Notenmanuskripte geben darüber genauere Auskunft.
Kapellmeister wurde im Herbst 1666 der Venetianer ANTONIO SARTORI (um 1620-1681). Ihm ging bereits ein guter Ruf als Opernkomponist voraus. Es gelang seiner Initiative in kurzer Zeit durch Verpflichtung italienischer Musiker die Hofkapelle nach den Wünschen des Herzogs zu modernisieren. Die künstlerische Tätigkeit Sartorios war überaus erfolgreich. Leider verließ er Hannover bereits 1675, um an der  Markuskirche in Venedig die Stelle eines Vizekapellmeisters anzunehmen. Von seinen Werken hat sich in Hannover die Partitur der Musik zu Pietro Dolfinis Poesia L'Adelaide erhalten. Die für 2 Trompeten, Streicher und Basso continuo gesetzte Sinfonia vermittelt einen festlich gestimmten Eindruck und betont die exquisite Spieltechnik vor allem der Bläser. 1666 wurde Herrenhausen, vor den Toren Hannovers, Sommerresidenz des Herzogs. Es versteht sich, daß im Laufe der folgenden Jahre zunächst große Planungen im Ausbau der Schloßanlage und der Gärten realisiert werden mußten. Die Musik tritt im Rahmen Herrenhausens nur begrenzt in Erscheinung. Erst gegen Ende des Jahrhunderts, als nach dem Tode des Herzogs Johann Friedrich (1679) der Osnabrücker Fürstbischof Ernst August als nächster Verwandter das Herzogtum Calenberg übernimmt, entfaltet Herrenhausen den vollen Glanz gesellschaftlichen Lebens.
Noch in der Regierungszeit Johann Friedrichs scheinen sich neue musikalische Pläne anzubahnen. Der nachweisliche vorübergehende Aufenthalt des späteren Wiener Hofkomponisten JOHANN HEINRICH SCHMELZER, dessen Bläsermusiken (Sonaten und Serenaden) damals sehr geschätzt waren, wird im Hinblick auf Herrenhausen besondere Bedeutung gebaht haben. Von Schmelzers Kompositionen befinden sich allerdings keine in Hannover; die Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel besitzt eine Reihe von seinen gedruckten Partituren, so daß mit Sicherheit angenommen werden darf, daß vor allem seine Bläsermusik an den welfischen Höfen gespielt wurde. Die Sonata con arie für drei Trompeten, Streicher und Basso continuo zeigt in ihren kontrastreichen Sätzen die bunte Vielfalt dieser Gebrauchsmusik, die vor allem im Garten bei festlichen Gelegenheiten zur Aufführung kam.
Die Musik des französischen Günstlings JEAN BAPTISTE LULLY (1632-1687) stand in Hannover und in Herrenhausen in höchsten Ehren. Sie war Vorbild für die hannoverschen Hofkomponisten und behielt ihre Gültigkeit bis in die Zeit Georg Friedrich Handels. Da sich die Partitur für die Musik zur Comédie Les amants magnifiques aus dem Jahre 1670 zumindest in ihren zur Suite zusammengefaßten Tanzsätzen in den Beständen der fürstlichen Musikalienhandlung befunden haben muß, lag nichts näher, als sie in die Vortragsfolge der Festlichen Soirée in Herrenhausen aufzunehmen. Der Reiz der Stücke liegt in den rhythmischen und klanglichen Kontrasten; ihre formale Ordnung ist typisch. Unter Herzog Ernst August und seiner kunstsinnigen Gemahlin Sophie (von der Pfalz) ändert sich das musikalische Leben am hannoverschen Hofe von Grund auf. Die italienischen Sänger, an der Spitze Kapellmeister VlNCENZO DE GRANDlS, wurden entlassen. Neue Kräfte konnten sich bewähren. Zum „Maître des Concerts“ wurde der aus Grenoble stammente JEAN BAPTISTE FARINELLY (1655-1720) ernannt. Unter seiner musikalischen Leitung wurde das Hoforchester nach Versailler Vorbild reorganisiert. Die sinngemäße Aufgliederung des Klangkorpers in zwei Violinen, zwei Bratschen, ein Violoncello und einen Contrabaß mit oder ohne Cembalo aut der einen Seite und zwei Oboen, ein Fagott auf der anderen Seite, dazu zwei Trompeten und Pauken, entsprach durchaus den klanglichen Forderungen Herrenhausens. Der bëi Lully ausgeprägten Fünfstimmigkeit seiner Instrumentalsätze begegnen wir auch bei fast allen damals in Herrenhausen und Hannover musizierten Orchesterwerken. Der mit dieser Satzweise erreichte massierte Klang diente gleichermaßen dem musikalischen Pathos wie der besseren Hörbarkeit in großen Sälen oder im Freien. Insbesondere waren es die Bläser, deren klangliche Tragweite einem exakten Musizieren im Garten dienlich war. Die Klangverbindung der Streicher mit den Bläsern und die notwendige Nuancierung erreichte Lully durch die von ihm geschaffene scharfe Bogenführung, dem „Détaché“. Höchste Spieldisziplin zeichnete das hannoversche Orchester aus. Farinelly verließ 1714 Hannover und trat in diplomatische Dienste. Sein Nachfolger wurde der bereits als Geiger im Hoforchester beschäftigte FRANCOIS (FRANCESCO) VENTURlNl (um 1675-1745); er wird in den Hofakten als französischer Musiker geführt, stammte aller Wahrscheinlichkeit nach aus Brüssel. Sowohl von Farinelly als auch von Venturini sind zahlreiche Instrumentalkompositionen nachweisbar. Die in unserer Programmfolge aufgeführte Ouverture a-moll aus den um 1700 bei Etienne Roger in Amsterdam gedruckten Concerti da camera op. 1 bietet einen reizvollen Einblick in die Gesellschaftsmusik am Herrenhäuser Hofe. Diese l\/lusik diente verschiedenen Forderungen; ihre einzelnen Sätze konnten bei Tanzveranstaltungen verwendet werden, kamen für Ballettaufführungen in Frage oder erklangen lediglich zur Unterhaltung. Obgleich Venturinis Schaffen nur Durchschnittswert hatte und nichts anderes sein konnte als Gebrauchsmusik von Niveau, bleibt er als Komponist doch einflußreich. Kein Geringerer als GEORG FRIEDRICH HÄNDEL informierte sich an diesen Stükken, die bereits eine überzeugende Synthese des italienischen und französischen Instrumentalstils darstellen. Händel hat in der kurzen Zeit seines hannoverschen Aufenthaltes an den Werken Farineliys und Venturinis den neuen Entwicklungsweg der Orchestermusik studiert. Nach seinem mehrjährigen Aufenthalt in italien wurde ihm Hannover gewissermaßen zur Stätte der Besinnung auf sich selbst. Sein Schaffen entwickelte sich von da an in europäischer Sicht. Der geistige Einfluß Agostino Steffanis ist auf diesem Wege unverkennbar.
Für das hännoversche Musikleben wurde 1688 der aus Venedig stammende AGOSTINO STEFFANI (1654-1728) maßgebend. Unter seiner Führung verlagerte sich das Schwergewicht auf die Oper. 1689 wurde das mit hohen Kosten im Zentrum Hannovers (Leinstraße) errichtete Opernhaus mit Steffanis Henrico Leone eröffnet. Während in Herrenhausen die Kammermusik ausgiebig gepflegt wurde, machte in Hannover das musikalische Theater von sich reden. Bis 1697 kamen im hannoverschen Opernhaus mindestens sieben Werke von Steffani zur Uraufführung. Leider dauerte die Blüte des mit großer Pracht entfalteten Opernunternehmens nur kurze Zeit. Die Interessen des absolutistischen Herrschers, der 1692 die neunte deutsche Kurwürde erhielt, richteten sich wieder auf andere Objekte. Als Kurfüst Ernst August im Januar 1698 starb, war es mit der Opernpflege am hannoverschen Hofe auf lange Zeit vorbei. Immerhin zeichnen sich die neun Jahre wechselseitiger Opernpflege im deutschen Musikleben als entvvicklungsgeschichtlich bemerkenswertes Ereignis ab. Steffani quittierte 1703 seinen musikalischen Dienst, nachdem er im Auftrag des kurfürstlichen Hofes bereits längere Jahre diplomatisch tätig gewesen war. Seinem Verhandlungsgeschick verdankt der hannoversche Hof das politisch hohe Ansehen, das den Kaiser letzten Endes veranlaßte, Hannover zum Kurfürstentum zu erheben. Steffani ging von Hannover als Regierungspräsident nach Düsseldorf und avancierte bald darauf zum apostolischen Vikar für Norddeutschland mit der Residenz in Hannover. Er starb 1728 auf einer Reise in Frankfurt am Main; dort wurde er auch begraben. Auf Steffanis Veranlassung kam Georg Friedrich Händel nach Hannover. Beide hatten sich in Venedig kennen und schätzen gelernt.
Musikalisch bieten Steffanis Opern eine Fülle herrlicher Musik. Formal konzentriert, knapp in den Solo- und Chorpartien, lyrisch und dramatisch gleichermaßen auf melodische Schönheit gearbeitet, charakterisiert sie die Träger der Handlung in ihrer Wesensart und in ihren Affekten. Steffanis Kunst zeigt sich in der empfindsamen Liebesarie Il dolce respiro aus der Oper Il turno aus dem Jahre 1709. Die Solopartie der Lavinia wird von der Laute begleitet, Orchesterritornelle (instrumentale Zwischensätze) geben dazu den klanglichen Kontrast Als sinfonisches Zwischenspiel präsentiert sich die mit La Lotta überschriebene reine Instrumentalmusik; sie gehort zur Oper La Lotta d'Ercole con Acheloo. Das Werk erlebte 1689 im hannoverschen Opernhaus die Uraufführung. Beide hier wiedergegebenen Kompositionen vermitteln einen Einblick in die musikalisch typische Eigenart Stetfanis, der die italienischen und französischen Stilkomponenten seiner Zeit genial zu verbinden wußte. Die Deutschen Siegismund Kusser und Reinhart Keiser folgten diesem Beispiel ebenso wie Georg Philipp Telemann, der als Gymnasiast oft von Hildesheim nach Hannover kam, um die Hofkapelle musizieren zu hören. Steffanis kompositorische Tätigkeit beschränkte sich keineswegs nur auf die Oper.
Am 16. Juni 1710 wurde GEORG FRlEDRlCH HÄNDEL (1685-1759) zum „churhannoverschen Capellmeister“ ernannt. Mit seinem Erscheinen in Hannover begann ohne Zvveitel die bedeutendste Epoche im Musikleben der welfischen Residenz. Man bewunderte den jungen Künstler als virtuosen Cembalisten und gevvandten Tonsetzer. Seine melodischen Einfälle waren unerschöpflich. Für die Hofgesellschaft schrieb Händel die berühmten Kammerduette, für die Hofkapelle Concerti grossi, die später überarbeitet als op. 3 in London gedruckt wurden. Auch Cembalomusik entstand in jenen Jahren; einiges davon ist kürzlich in dem handschriftlich überlieferten Notenbuch des Grafen v. d. Schulenburg aufgetaucht. Obwohl Handel die kurze Zeit seines hannoverschen Wirkens häufig noch durch Reisen unterbrochen hat, fand er die Muße für mancherlei Plane und Entwürfe. Vielleicht hat er in Hannover bereits die Skizzen für seine Oper Amadigi entworfen, zumindest die Anlage verschiedener Arien festgelegt. Mancherlei weist stilistisch auf die musikalischen Gepflogenheiten der hannoverschen Hofmusik, - so die solistische Behandlung der Bläser, die knappe französische Melodiebildung in den Arien und die Dacapo-Technik nach dem Vorbild der neapolitanischen Oper. Amadigi ging zum ersten Mal in London 1715 über die Bretter. Das Autograph der Partitur ist spurlos verschwunden.
Die Handlung der Oper Amadigi war den damaligen Theaterbesuchern geläufig und bot deshalb keine Schwierigkeiten. Reizvoll war die Szenerie mit ihren vielen zauberischen Verwandlungen. Der junge Ritter Amadigi hat sich im Garten der Zauberin Melissa verirrt. Bei ihm sind die Prinzessin Oriana und sein Freund Dardanos. Oriana und Amadigi lieben sich. Verzweifelt versuchen die drei dem Machtbereich der bösen Zauberin zu entfliehen. Als Melissa plötzlich erscheint und Amadigi zum Verweilen auffordcrt, erhält sie eine Absage. Vollor Wutt sperrt sie Oriana in einen Turm. In der arie Ah! spietato! e non te muove läßt sie ihrem Zorn freien Lauf. Auch Dardanos liebt Oriana. In der Hoffnung, die Schöne für sich gewinnen zu können, sieht er sich jedoch getäuscht. Melissa, die ihm wohlgesonnen ist, soll helfen. Das Rezitativ D'un sventurato amante und die darauf folgende Arie Pena tiranna zeichnen in ergreifender Klage die Hoffnungslosigkeit des unglücklich verliebten Dardanos. Der Zauberin Melissa gelingt es auch mit Gewalt nicht, das Liebespaar Oriana-Amadigi zu trennen. Ihr grausamer Haß kennt deshalb keine Grenzen. Mi deride l'amante (Rezitativ) und die forsche, mit konzertierender Trompete besetzte Arie Desterò dall'empia Dite ogni furio a farvi guerra unterstreichen den flammenden Unmut Melissas. An der unauslöschlichen Liebe Amadigis und Orianas zerbricht endlich das Zauberreich und mit ihm die Kraft und das Leben Melissas. In ergreifendem Sterben Addio, crudo Amadigi! nimmt sie Abschied von ijrer unglücklichen Liebe.
Handel verließ Hannover endgültig 1712, um sich in England niederzulassen. Er war in Hannover kontraktbrüchig geworden. 1714 siedelte der hannoversche Hof nach London über, nachdem Kurfürst Georg Ludwig als Georg I. den englischen Königsthron bestiegen hatte. Im gleichen Jahr starb in Herrenhausen die Kurfürstin Sophie. Ihr hoher Kunstsinn hatte dem Geistesleben der Residenz jahrzehntelang das Profil gegeben.
Musikalisch sinkt das Niveau der hannoverschen Hofkapelle nicht mit einem Schlage. Tüchtige Musiker und begabte Kapellmeister sorgen für qualitativ gute Darbietungen, zumal bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts das höfische Leben in Hannover nicht erlischt. Häufig halten sich die englischen Könige in Hannover und Herrenhausen auf.
Neues Leben aber erwacht erst wieder nach der französischen Okkupation, als Hannover 1814 zum Königreich erklärt wurde. Unter der Regierungszeit der beiden letzten Könige, Ernst August und Georg V., erlebte Hannover eine musikalische Blütezeit, die ihre Spuren bis in die Gegenwart hinterlassen hat. Herrenhausen wurde wieder Sommerresidenz und während der Regierung Georgs V. Treffpunkt vieler bedeutender Musiker. Der König, der ein guter Klavierspieler und ein geschickter Komponist war, liebte es, regelmäßig Kammermusikabende in Schloß Herrenhausen abzuhalten. Zu den häufigen Gästen zählte der Geiger Joseph Joachim, der sich oft solistisch aber auch mit seinem Quartett vor der königlichen Familie hören ließ. Aber auch fremde Künstler, die in Hannover Konzerte gaben oder im Opernhaus auftraten, wurden nach Herrenhausen eingeladen, um dort ihre Kunst zu zeigen. Die Soiréen in Herrenhausen fanden 1866 ihr jähes Ende, als das Königreich Hannover von Preußen annektiert wurde. Erst seit 1937 entwickelte sich in Herrenhausen wieder ein sommerliches Musikleben, das in den letzten Jahren, dank der Initiative der Landeshauptstadt Hannover, europäischen Rang gewann. Das Galeriegebäude und das Gartentheater bieten heute, den musikalischen Forderungen entsprechend hergerichtet, den Rahmen für bedeutende Konzerte und Opernaufführungen. Stilbewußte interpretationen barocker Musik unterstreichen die Einmaligkeit der Herrenhäuser Schloß- und Gartenanlage, die die zahlreichen Besucher aus nah und fern etwas von dem Geist verspüren läßt, der Vergangenes gegenwärtig macht.
Heinrich Sievers
(EMI Electrola 1 C 037-45 578)