MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 115 - (p) 1964
1 LP - 1 C 037-45 574 - (p) 1964
1 CD - 50999 6025112 1 - (c) 2012
1 CD - 9 28334 2 - (p) & (c) 2013

WIEN - Am Hofe Leopolds I.






Johann Joseph Fux (1660-1741) Sinfonia II - aus: Concentus musico instrumentalis... 1701
16' 11" A1

(4 Violinen, 3 Oboen, Tenor,-Gambe, Bass-Gambe, Violone, Fagott, Cembalo)



- Allegro assai - Grave - Allegro - Adagio 4' 51"


- Libertein 1' 46"


- Entrée 2' 03"


- Menuet 1' 43"


- Passepied 1' 00"


- Ciacona 5' 08"






Giovanni Legrenzi (1626-1690) Sonata Quinta a quattro Viole da gamba - aus: La Cetra 1682
5' 35" A2

(Pardessus de Viole, Tenor-Gambe, 2 Bass-Gamben, Violone)







Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) Pars III - aus: Mensa Sonora... 1680

7' 55" A3

(Violine, Viola, Tenor-Gambe, Bass-Gambe, Violone, Cembalo)



- Gagliarda (Allegro) 1' 06"


- Aria 2' 37"


- Ciacona 3' 22"


- Sonatina 0' 53"






Johann Joseph Fux Sinfonia VII - aus: Concentus musico instrumentalis... 1701
12' 06" B1

(Blockflöte, Oboe, Bass-Gambe, Cembalo)



- Adagio - Andate - Allegro 6' 21"


- La joye des fidels sujets (Allegro)
1' 55"


- Aria italiana - Aire françoise (Andante)
2' 31"


- Les enemis confus (Maestoso e deciso) 1' 35"






Johann Heinrich Schmelzer (um 1623-1680) Sonata III - aus: Sacro profanus concentus musicus... 1662

4' 46" B2

(2 Violinen, Viola, Tenor-Gambe, 2 Bass-Gamben, Violone, Cembalo)







Leopoldus I (1640-1705) Regina coeli à 5, Mense Maio 1655 - Accompagnamento di Viole del Antonio Bertali, hrsg. von Guido Adler

7' 26" B3

(Altstimme*, 2 Violinen, Tenor-Gambe, 2 Bass-gamben, Violone, Cembalo)







Johann Heinrich Schmelzer Sonata X - aus: Sacro profanus concentus musicus... 1662

3' 57" B4

(Violine, Viola, Tenor-Gambe, Bass-Gambe, Violone, Cembalo)






 
Jeanne Déroubaix, Mezzosopran * Concentus Musicus Wien / Nikolaus Harnoncourt, Leitung


- Alice Harnoncourt, Violine & Pardessus de Viole

- Eva Braun, Josef de Sordi, Violine

- Kurt Theiner, Violine & Viola

- Nikolaus Harnoncourt, Tenor- & Bass-Gambe

- Elly Kubizek, Hermann Höbarth, Bass-Gambe

- Eduard Hruza, Violone

- Leopold Stastny, Blockflöte

- Jürg Schaeftlein, Karl Gruber, Bernhard Klebel, Oboe

- Otto Fleschmann, Fagott

- Georg Fischer, Cembalo
 






Luogo e data di registrazione
Sinfonia-Studio, Wien (Austria) - 16/21 giugno 1963

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Gerd Berg / Christfried Bickenbach / Ernst Rothe

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 115 - (1 lp) - durata 59' 05" - (p) 1964 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1 C 037-45 574 - (1 lp) - durata 59' 05" - (p) 1964 - Analogico

Edizioni CD
EMI Records Ltd / Virgin Classics - 50999 6025112 1 - (1 cd) - durata 59' 05" - (c) 2012 - ADD
EMI Music - 9 28334 2 - (1 cd) - durata 59' 05" - (p) & (c) 2013 - ADD


Cover
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Die Zeit Leopold I. - eine Epoche Kulturellen Wohlstandes
Leopold I., der von 1657 bis 1705, also ungewöhnlich lange, die Geschicke Österreichs und darüber hinaus als römischer Kaiser auch die eines großen Teils Europas lenkte, schien keineswegs vom Schicksal besonders begünstigt. Es war die Zeit der Kriege gegen die Türken, die 1683 vor Wien standen, die Zeit der ungarischen Magnatenverschwörung und gegen Ende seines Regierungsamtes die unsichere Epoche des spanischen Erbfolgekriegs, die große Auseinandersetzung mit den Bourbonen. Dazu kam die Geißel der Pest, die im furchtbaren Jahr 1679 unzählige Opfer forderte. Wahrhaftig, es war keine Zeit, von der man sagen könnte, sie hätte das Blühen der Künste begünstigt.
Daß diese Dezennien dennoch zur Epoche höchsten künstlerischen Glanzes auf allen Gebieten wurde, ist demzufolge in erster Linie der Persönlichkeit des Kaisers zu danken, der weder Kosten noch Mühe sparte, Wien zum Zentrum der europäischen Kultur zu machen. Daß dieses Zentrum in erster Linie Zuzug vom Süden erhielt, gehörte bereits zur Tradition des Kaiserhauses, das sich nicht nur durch Titel und mancherlei verwandtschaftliche Beziehungen mit ltalien verbunden fühlte, sondern auch die große kulturelle Leistung des Nachbarlandes respektierte. Demgegenüber kam das spanische Element kaum zur Geltung, und dies obwohl Leopold als Sohn einer spanischen Habsburgerin und als Gatte der Infantin Margarete gewissen Einflüssen von dieser Seite ausgesetzt war. Sagte er doch einmal unwillig: „Die mujeres espagnoles wollen meinen Hof ganz spanisch machen". Nach dem Tode seiner ersten Gattin unterblieben weitere Versuche in dieser Richtung. Italienisch wurde zur Hofsprache. Die zweite Gattin, Claudia Felicitas von Tirol, und auch die dritte, Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, hatten dagegen nichts einzuwenden. Es mag indessen ihrem Einfluß zuzuschreiben sein, daß das deutsche Element am Hofe nicht völlig in den Hintergrund trat, was schon von Zeitgenossen als absonderlich bezeichnet wurde, „da in Österreich diese Sprache fast in fremden Landen ist".
Im Zuge der Italianisierung wurde Wien eine prachtvolle Barock-Stadt, eine Stadt voll von Adelspalästen und Kirchen. Der Kaiser ging mit gutem Beispiel voran und ließ jenen Teil der Hofburg erbauen, der noch heute der Leopoldinische Trakt genannt wird; er ließ ferner in einem südlichen Vorort (Kaiser-Ebersdorf) ein Jagdschloß errichten, um für seinen Sohn Joseph, der 1690 römischer König wurde, durch Fischer von Erlach einen ersten Entwurf für das Lustschloß Schönbrunn herstellen, welches den alten Bau ersetzen sollte. Wäre dieser Entwurf zur Ausführung gekommen, das neue Gebäude hätte Versailles übertroffen. Aber schon der Plan zeigt, in welchen Dimensionen die Bauherren und die Baumeister jener Zeit zu denken gewohnt waren.
Der Adel wollte natürlich hinter dem Kaiser nicht zurückstehen: eine ganze Reihe von Adelspalais, die - trotz vielfocher Umbauten im 18. Jahrhundert - noch heute das Bild der Stadt Wien mitbestimmen, entstanden in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts des österreichischen Barock, darunter das Palais Dietrichstein (das später in den Besitz des Fürsten Lobkowitz überging), das Palais Caprara, das Liechtenstein-Palais in der Rossau, das Stadtpalais der gleichen Familie, das Harrach'sche Palais etc. Die kirchlichen Bauten waren von nicht geringerer Zahl: im Zuge der Gegenreformation, die aus der protestantischen Stadt wieder eine katholische machte, wurden zahlreiche prunkvolle Kirchen erbaut.
Einen Bericht, wie die Stadt damals aut einen Fremden wirken mußte, verdanken wir dem türkischen Weltenbummler Evliya Celebi, der 1665 nach Wien kam und mit echt orientalischer Phantasie erzählt: „Die Gebäude innerhalb der Festung Wien belaufen sich auf insgesamt 40.000 Häuser und im ganzen... Paläste außer der Kaiserburg. Alle diese Paläste haben fünf bis sechs Stockwerke. An jedem dieser Gebäude gibt es mannigfaltige Kanzeln und Erker, Alkoven und Balkone. Die Räume darinnen sind mit Einlegearbeiten in Perlmutter und Gold verziert und die Säle mit Edelsteinen ausgeschmückt. Die Summe der Fenster an allen Häusern zusammen beläuft sich auf nicht weniger als 200.000. So berichtete der Hofschatzmeister, und es stimmt gewiß, denn bei den Giauren ist das Lügen verboten. An den Wänden der Erker... hängen verschieden gestaltete Drahtkäfige, die selbst wieder kleine Erker mit mannigfach geformten Kuppeln darstellen. Darinnen werden Nachtigallen und Papageien und Sittiche und Amseln und Pirole und viele andere Singvögel gehalten. Die Straßen innerhalb der Festung sind alle in geometrischer Ordnung... und mit sauberen blanken Steinpflastern bedeckt. Übrigens dürfen außer Pferden keinerlei Tiere in die Stadt gebracht werden. Wenn einmal ein Pferd seinen Mist innerhalb der Stadt fallen läßt, dann kehren und fegen die Inhaber der Kaufläden... diesen Pferdemist sofort weg. Nach jedem Regen kommen sogleich aus allen Häusern die Buben und Weiber heraus und fegen die Straßen wieder derartig rein und sauber und spiegelblank, daß man von ihnen ruhig Honig auflecken könnte... Die Zahl der Kaufläden beträgt insgesamt 1.500. Sie liegen nach Zünften nebeneinander geordnet und sind derart schön und reich verziert, daß dort jeder Kaufmann ein Vermögen von der Höhe eines Jahrestributs der Provinz Ägypten besitzen muß... Und was nun die herrlichen Kunstwerke und wunderbaren Geräte betrifft, die hier geschaffen werden, so haben diese Handwerkerviertel nirgends ihresgleichen. Man stellt dort Wanduhren mit Schlagwerk her, die zu den verschiedenen Gebetszeiten schlagen... ferner auch solche, die auch die Tage, Monate und Sternbilder anzeigen... In Wien gibt es im ganzen 66 Kirchen mit ihren Patriarchen und Metropoliten, diesen schmutzigen Priestern der Christen. Alle diese Kirchen... sind Häuser des Unheils und Stätten des Unglaubens... Außer diesen findet man innerhalb und außerhalb der Stadt noch 300 kleinere Kirchen. Alle zusammen werden sie in den Schatten gestellt von dem sogenannten Stephansdom... Nirgends in der Türkei, in Arabien, im übrigen Giaurenreich oder sonstwo in den sieben Zonen unserer Erde ist ein derartig riesenhafter Bau und ein solch altehrwürdiges Kunstwerk errichtet worden und wird auch niemals errichtet werden. Alle Reisenden der Länder und Meere meinen, daß diese Kirche in der ganzen Welt ihresgleichen nicht hat... "Vieles ist sachlich unrichtig in diesem Bericht, seine neidvolle Bewunderung aber spricht Bände.
Die meisten Baumeister, die für den Prunk der Metropole sorgten, waren Italiener, so Carlone, Coccapani, Canevale, Martinelli. Auch Giovanni Burnacini kam aus Italien. Er wurde schon von Ferdinand III. 1652 nach Wien geholt, um bei der Hofburg ein Theater zu errichten. Als er drei Jahre später starb, setzte sein Sohn Ludovico Burnacini sein Werk fort. Für den leidenschaftlichen Theaterliebhaber Leopold errichtete er auf der Cortina, dem Wall vor der Burg, ein großes Theater aus Holz. Es war 65 Meter lang, 27 Meter breit und innen 13 Meter hoch, besaß drei Ränge und wirkte höher als es war, weil ein illusionistisches Deckengemälde den Eindruck einer weiter nach oben strebenden Architektur vermittelte.
Mit dem Namen des Theateringenieurs Ludovico Burnacini ist die Hochblüte des Theaters in der leopoldinischen Ära auf das engste verknüpft. Seine prunkvollen Inszenierungen genossen europäischen Ruhm. Zwischen 1658 und 1705 wurden bei Hofe über 400 Opern- und Oratorienaufführungen gegeben. Opernaufführungen ergossen festlichen Glanz über Taufen, Verlobungen, Hochzeiten, Geburtstage und über die Besuche fremder Fürstlichkeiten: „Mit ihrer Mischung von griechischer Mythologie, Arien, Chören und BalIetten, mit ihren szenischen Wundern, Flugmaschinen, die die Götter auf die Bühne schweben ließen, mit staunenerregenden Dekoratíonsverwandlungen, mit Feuerwerken und Aufzügen, mit Huldigungen und Schmeicheleien für das Kaiserhaus waren solche Opernaufführungen farben- und gestaltenreiche Schaustücke wie die großen Deckenfresken in den neuen Palästen Wiens, auf denen sich der Himmel öffnete und der Olymp sichtbar wurde, Säulenhallen aufragten und die Sonne Wolken beglänzte" (Max Graf).
Eine dieser Aufführungen hat Geschichte gemacht: die sensationelle Inszenierung von „Il pomo d'oro" (Der goldene Apfel) im Jahre 1666 in Burnacinis Theater auf der Cortina. Der Anlaß war die Heirat Leopolds mit der spanischen Infantin. Die Komposition stammte von Marcantonio Cesti, der als Vízekapellmeister an den Hof verpflichtet worden war. Fünf Akte mit 67 Szenen waren vorgesehen, und obwohl die venezianische Oper jener Zeit im wesentlichen Solooper war, spielte der Chor eine wichtige Rolle. Unwahrscheinlich prunkvoll gab sich die Inszenierung Burnacinis, „weIche niemals ist gesehen worden und vielleicht auch, weil die Welt steht, niemals wird gesehen werden", wie ein Zeitgenosse meinte. Im Vorspiel wurden Macht und Glanz des Hofes verherrlicht, in den SäuIenhallen der Bühne sah man die Statuen der Habsburger, in den Wolken ritt der Österreichische Ruhm, begleitet von Amor und Hymen, auf der Bühne standen die Persifikationen des Habsburgerreichs: Osterreich, Ungarn, Böhmen, Italien, Sardinien, Spanien und Amerika. Nach dem Vorspiel rollte die eigentliche Handlung ab: die Wahl des Paris, der aber keiner der drei Göttinnen den Apfel reicht, sondern der jungen Kaiserin. Schauplätze dieses Theaterfestes waren die Erde, der Himmel, die Unterwelt, Tempel, Höhlen, Wälder, Säulenhallen, Gärten und Landhäuser. Burnacini hatte alle Wunder der Theatermaschinerie aufgeboten: Blitz und Donner, Regen, Hagel, Furien, Neptun und Venus auf dem Muschelwagen, Nereiden, die in Bassins schwammen, sogar das Schiff des Paris inmitten eines Sturms.
Und dies war nur eine von den großen Festopern! Das Programm der Kaiserhochzeit umfaßte außer dem „Pomo d'oro", neben Schauspielen der Jesuitenbühnen, Komödien und Bällen noch Cestis „Neptun und Flora", ein Ballett von Heinrich Schmelzer und ein Rosseballett im inneren Burghof, „La contesa dell'aria e del'aqua" („Wettkampf zwischen Luft und Wasser") mit Musik von Bertali und Schmelzer. Draghis „La monarchia latina trionfante" zählte ebenfalls zu den Festopern.
Auch in späteren Jahren, vor allem aber nach dem siegreichen Zurückwerfen der Türken, erfüllte Musik alle Ereignisse bei Hof. Opern, Ballette, Oratorien - diese in der Fastenzeit - folgten einander in dichter Folge. Viele der Aufführungen fanden auch auf den kaiserlichen Sommerschlössern statt, so etwa Draghis „II templo di Diana" im Park von Schönbrunn.
Neben solchen prunkvollen Inszenierungen gab es auch kleinere „Feste in camera" und unzählige andere Musikveranstaltungen im engeren Kreis der Herrscherfamilie. Denn der Kaiser war ein echter Kenner und Liebhaber der Musik. Wie sein Vorgänger Ferdinand III. und wie seine Nachfolger Joseph I. und Karl VI. komponierte er selbst, und das nicht etwa nur gelegentlich. Wolfgang Ebner, Athanasius Kircher und Johann Heinrich Schmelzer waren ihm dabei Helfer, sei es, daß sie Begleitstimmen aussetzten, sei es daß sie die Komposition aufführungsreifmachten. Ein Katalog in der Wiener Nationalbibliothek verzeichnet eine lange Reihe von Kompositionen des Kaisers: 79 Kirchenwerke, darunter 8 Oratorien, 155 weltliche Werke, zahlreiche Einlagen für Opern und Oratorien, 9 Festi teatrali und 17 Bände Balletti, von denen 102 Tänze erhalten sind. Unter den Theatermusiken sind Kompositionen zu deutschen Singspielen und sogar zu Dialektstücken bemerkenswert. Sie erregten schon damals Aufsehen.
Wie sehr das ganze Musikleben seiner Zeit vom Kaiser persönlich Impulse erhielt, geht aus einem Dokument hervor, das zwei Jahre nach dessen Tod in Köln veröffentlicht wurde. Es stammt aus der Feder eines ehemaligen kaiserlichen Hauptmannes namens Rink. Dieser Kaiser, so schreibt er, „ist ein großer Künstler in der Musik. Hier ist der Ort, wo man weitIäufig zu reden Ursache hat, denn wo etwas in der Welt gewesen, so dem Kaiser Vergnügen gemacht, so war es unfehlbar eine gute Musik. Diese vermehrete seine Freude, diese verminderte seine Kümmernis, und man kann von ihm sagen, daß er unter allen Lustbarkeiten keine vergnügtere Stunde gehabt, als die ihm ein wohleingerichtetes Konzert gemacht. Man kunnte dieses absonderlich in seinen Zimmern sehen. Denn wie er das Jahr viermal zu changieren pflegte, nämlich aus der Burg nach Laxenburg, von da in die Favorita und dann nach Ebersburg, so war in einem jedweden kaiserlichen Zimmer allezeit ein kostbares Spinett befindlich, darauf der Kaiser allezeit seine müßigen Stunden, wenn er von anderen Geschäften sich in dos Gemach reterierte, zubrachte. Seine Kapelle kann wohl die vollkommenste in der Welt genennet werden; und dieses ist gar kein Wunder, nach dem der Kaiser allemal selbst das Examen anstellete, wenn einer darinnen sollte angenommen werden, da denn blos nach Meriten und nicht nach Neigungen geurteilt ward. Wann alle Kollegia in Wien auf solche Art untersucht und besetzt worden, so ist kein Zweifel, Wien wäre ein Paradis auf Erden, ein Sammelplatz der Gerechtigkeit, der freien Künste und aller Tugenden gewest. Man kann aus der Menge der erfahrensten Künstler urteilen, wie hoch sie dem Kaiser muß zu stehen kommen. Denn viele unter diesen Leuten waren Barons und hatten solche Besoldung, daß sie ihrem Stande gemäß leben konnten... Nächst der Musik liebte er die singenden oder Opern, worinnen die Musik ihre höchste Kraft erweist, über die Massen. An keinem Orte der Welt sind jemals prächtigere Opern präsentiert worden, als in Wien. Bei den kaiserlichen Vermählungen und anderen Solennitäten sind absonderlich die berühmten Opera ,Pomo d'oro', ,ll Fuoco Vestale' und ,La Monarchia Latina' in solcher Pracht vorgestellt worden, daß man versichert, es habe alleine ,Pomo d'oro' über 100.000 Reichstaler gekostet, wobei aber noch dieser Vorteil, daß sie ein ganzes Jahr durch mit Zulassung aller Leute präsentiert worden. Dieses ist sonst bei den kaiserlichen Opern nicht gemein, angesehn eine Opera, welche gar öfters 10-20.000 Gulden konsumieret, nur ein einziges mal zu sehen; welches ein solcher kostbarer Aufgang, daß kein anderer Potentat in der Welt solches gleich tut; zumal, da fast bei allen Geburts- und Namentägen der Herrschaften neue Erfindungen aufgeführt worden...
Wenn der Kaiser in einem Konzert dieser seiner allezeit unvergleichlichen Kapelle war, so fand er sich so vergnügt dabei, mit einer solchen unendlichen Attention, als wenn er sie dieses und zum allerersten mal hörte. Und in einer Opera wird er nicht leicht ein Auge von der in Händen habenden Partitur weggewendet haben, so genau observierte er alle Noten. Wenn eine besondere Passage kam, die ihm gefiel, drückte er die Augen zu, mit mehrerer Attention zuzuhören. Sein Gehör war auch so scharf, daß er unter Fünfzig denjenigen merken kunnte, welcher einen Strich falsch getan."
So wie die Baumeister waren auch die Musiker der leopoldinischen Ära überwiegend Italiener. Antonio Bertali und Felice Sances wirkten schon unter Ferdinand III. Marcantonio Cesti, der den „Pomo d'oro" komponierte, war eine Berühmtheit seiner Zeit, in noch höherem Maße vielleicht Antonio Draghí, der seit 1661 bis zu seinem Tode im Jahre 1699 für den Wiener Hof nicht weniger als 172 Opern, Festspiele, Serenaden sowie 42 Oratorien und Kantaten schrieb. Die Festoper zur zweiten Vermählung des Kaisers im Jahre 1674 stammt von ihm: „Il fuoco eterno custodito dalle Vestali". Für die meisten seiner Texte sorgte der ebenfalls aus Italien stammende Hofpoet Nicolo Minato. Am Aufbau der Oper hatten auch die Kapellmeister der Kaiserinwitwe Eleonore, Joseph Tricarico und P. A. Ziani, großen Anteil.
Daneben fanden die nicht-italienischen Musiker ein entsprechendes Arbeitsfeld, freilich nicht so sehr auf dem Gebiet der höfischen Oper, wo lediglich Johann Heinrich Schmelzer zur Komposition von BaIIett-Einlagen zugelassen wurde. Das Jesuitentheater hingegen, das in den Nebenhandlungen opernhaft ausgebreitet war, besaß in Johann Kaspar Kerll, Ferdinand Tobias Richter und Bernardus Staudt tüchtige Komponisten (nicht anders als das Theaterwesen in Salzburg in Andreas Hofer. Gottlieb Teofil Muffat und Heinrich Ignaz Franz Biber). Es waren nicht zuletzt diese Meister deutscher Zunge, die eine bemerkenswerte Spätblüte der Instrumentalmusik hervorriefen. Von Schmelzer her entwickelte der aus Böhmen stammende Biber eine durchaus lokal gebundene, in ihrer Eigenart höchst fesselnde Art des vollgriffigen Violinspiels. Schmelzer selbst hat die lokale Note seiner Ballette und Instrumentalwerke durch Aufnahme von Volksmelodien unterstrichen. Eine Wiener Klavierschule geht auf Wolfgang Ebner zurück, findet in Johann Jakob Froberger ihre bodenstöndigste Form und in dem Italiener Alessandro Poglietti, der bei der Türkenbelagerung ums Leben kam, einen originellen Adepten. Französische Elemente, die in den offiziellen Opern zugleich mit der Sprache aus politischen Gründen verbannt waren, konnten in der lnstrumentalmusik unbemerkt Eingang finden. Aber auch hier wor der italienische Einfluß, wie er etwa von dem Kapellmeister an San Marco in Venedig, Giovanni Legrenzi, ausgeübt wurde, vorherrschend.
Das Ende der leopoldinischen Epoche stand keineswegs im Zeichen des Verfalls. Im Gegenteil: Wissenschaft und Kunst erlebten gerade in den letzten Jahren Kaiser Leopolds einen Auftrieb, der über die Epochen Josephs I. und Karls VI. hinweg bis in die Maria-Theresianische Zeit fortwirkte, ja letzten Endes mithalf, das Klima vorzubereiten, in dem dann die Wiener Klassik gedeihen sollte. Der Kaiser selbst gründete die Gesellschaft für Noturforschung; er stand mit Leibnitz in Verbindung und sammelte Partituren musikalischer Meisterwerke. Fischer von Erlach und Lukas Hildebrandt konnten sich gegen die italienische Konkurrenz behaupten und schmückten Wien mit neuen Gebäuden, an Stelle derer, die im Türkenjahr 1683 zerstört worden waren. Die Mehrzahl der großen Bauten des Hochbarocks wurden erst unter Karl VI. vollendet, ihre Fundamente indes waren noch um 1700, in der Zeit Leopolds, gelegt worden.
Nicht anders stand es mit der Musik. Die Meister der leopoldinischen Epoche fanden ihre Nachfolger, die italienischen wie die deutschen. Und Johann Joseph Fux, der unter Karl VI. zur höchsten Würde des Hofkapellmeisters gelangte, hat in dieser Funktion im 18. Jahrhundert gleichsam den Schlußstrich unter die österreichische Borockmusik gezogen, die trotz des starken italienischen Einflusses stets ihre lokale Note zu wahren wußte. Auch dieser Meister wurde durch die direkte Einflußnahme Leopolds an den Wiener Hof gezogen. Als er „noch in Diensten eines ungarischen Bischofs war, hörte der Kaiser dort eine noch unbekannte Messe von Fux, die ihm sehr wohl gefiel. Bey der Tafel fragte der Kaiser um den Nomen desjenigen, der die Messe komponiert habe. Fux wurde herbeigerufen. Der Kaiser lobte ihn und nahm die Messe mit" (Friedrich Daube: „Anleitung zur Komposition", Wien 1797/98). Den Organisten der Wiener Schottenkirche hat dann 1698 Leopold I. zum Hofkompositor ernannt und so für die Kontinuität eines Werkes gesorgt, das lange über den zeitlichen Wandel hinaus fortwirken sollte.
Rudolf Klein

Französische und italienische Einflüsse auf die Wiener Barockmusik
Wien als Metropole der Musik. Ein Begriff, der jedem Musikfreund durch die im heutigen Konzertleben dominierende Stellung der drei Großmeister der Wiener Klassik geläufig ist. Nur wenigen dürfte es aber klar sein, daß sich hier schon lange vor dieser Zeit eine musikalische Metropole ersten Ranges befand. Freilich, die weltweite Ausstrahlung der Wiener Musik war ein Geschenk, das dieser Stadt nur einmal beschieden war.
Eines der merkwürdigsten Phänomene der Musikgeschichte ist wohl die Konzentration der wesentlichsten stilbildenden und schöpferischen Kräfte auf bestimmte, deutlich abgegrenzte Länder oder Landschaften. Ohne erkennbaren Grund bilden sich einmal hier, einmal dort Zentren von weltweiter Strahlkraft, die nach einigen Generationen höchster schöpferischer Potenz wieder, wie ausgebrannt, zum Normalniveau zurücksinken. So hat fast jedes europäische Land einmal, manches sogar mehrmals, seine ,große Zeit' in der Musik gehabt. Diese musikalischen Mittelpunkte waren durchaus nicht immer zugleich die großen politischen Mittelpunkte der Zeit (wenn es auch hier oft enge Wechselbeziehungen gibt). So fällt zum Beispiel die große Blüte der niederländischen Musik um 1500 zusammen mit größter politischer Macht- und Prachtentfaltung des französischen Königshofes Ludwigs XII. und des römisch-deutschen Kaiserhofes Maximilians I. Wenn auch Wien als eines der ältesten Kulturzentren im deutschen Raum und als Residenz sowohl der Babenberger als auch der Habsburger schon seit jeher ein reiches Musikleben hatte, erhielt dieses doch lange Zeit seine entscheidenden Impulse von auswärtigen Künstlern, bevor es die eigene, entscheidende Aussage fand. Drei Jahrhunderte lang war Wien ein Schmelztiegel der verschiedenartigsten Stilrichtungen. Die Exponenten der jeweiligen schöpferischen Brennpunkte kamen hier im Laufe der Jahrhunderte auf gewissermaßen neutralem Boden zusammen; niederländische und italienische, englische und französische Musiker konnte man hier hören. Durch den engen Kontakt mit der slawischen und magyarischen Welt kamen östliche Einflüsse dazu. So konnte die natürliche musikalische Veranlagung der Wiener, der Österreicher überhaupt, durch diese Begegnung mit der ganzen musikalischen Welt nach und nach einen alle Formen in sich schließenden eigenen Stil finden. Die sehr starke musikalische Folklore Österreichs, Ungarns und Böhmens spielte dabei von Anfang an eine bedeutende Rolle. Es war zur Zeit Leopolds I., in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, daß einheimische Meister wie Schmelzer und Fux erstmalig die Führung der Hofkapelle übernahmen, daß unverkennbar wienerische und österreichische Musik komponiert wurde.
Durch die engen politischen Verbindungen mit Italien kam die Oper, die große musikalisch-dramatische Novität des beginnenden 17. Jahrhunderts, nach Wien, wo sie sofort eine begeistert gepflegte Heimstätte fand. Wien wurde im 17. Jahrhundert eines der prunkvollsten Zentren der italienischen Oper. Nahezu alle bedeutenden italienischen Opernkomponisten haben hier gewirkt. In ihren Opern konnte man aber auch viel reine Instrumentalmusik hören: außer den von eigenen Ballettkomponisten geschriebenen Tanzeinlagen gab es noch instrumentale Zwischenspiele, oft wurden auch Instrumentalkonzerte eingestreut. Die Tanzeinlagen waren meist in Anlehnung an französische Vorbilder gestaltet, viele Tänze indes verwendeten bodenständiges Melodiengut, wie schon aus manchen Titeln wie ,Steyermärker Horn', ,Gavotta tedesca', ,styryaca', ,Böhmischer Dudelsack' und anderen hervorgeht. Die instrumentalen Zwischenspíele aber wurden von den italienischen Opernkomponisten selbst geschrieben. Sie wurden als ,Sonata' bezeichnet und waren vor allem bei den älteren Komponisten meist fünfstimmig. Ihre Form leitet sich direkt von der alten italienischen ,Canzon da sonar' ab. Man darf diese vielstimmigen ,Sonaten' also nicht mit der klassischen Sonate für ein Soloinstrument verwechseln. - Die italienischen Opernkomponisten versorgten auch die Wiener Hauptkirchen mit Kirchenmusik. So waren natürlich die einheimischen Komponisten wie Schmelzer, Fux und Biber mit der italienischen Schreibart aller Arten von Musik bestens vertraut.
In Frankreich wurde die italienische Oper nicht übernommen. Hier hatte sich eine eigene tänzerische Gattung des Musikdramas gebildet, das ,Ballet de cour'. Aus diesem entwickelte Lully in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die typisch französische Oper. Sie unterscheidet sich von der italienischen vor allem durch eine viel stärkere Betonung des Formalen, des streng Tänzerischen, der strengen Wortgebundenheit der Musik. Rein musikalische Nummern, in denen der Text eine untergeordnete Rolle spielt, wie die Arien der italienischen Oper, gibt es nicht; die Instrumentalstücke sind durchweg Tänze. Lullys Reformen der französischen Oper hatten, vor allem was den Stil und die Spielweise des Orchesters betrifft, in ganz Europa größtes Aufsehen erregt. Die aus seinen Opern entnommenen Instrumentalsuiten mit ihrer neuen Form der Ouvertüre und den graziösen französischen Tänzen erfreuten sich nicht nur in Paris höchster Beliebtheit; sie wurden bald auch überall in Deutschland und England nachgeahmt. Die präzise kurzstrichige Spielort von Lullys Geigern, die zur richtigen Wiedergabe französischer Musik unbedingt erforderlich ist, war vom kantablen Legatospiel der Italiener himmelweit entfernt. Viele deutschen Kapellen ließen sich französische Musiker kommen. Italienische Geiger weigerten sich mancherorts,französische Musik zu spielen. Auch in Wien hatte man die Bekanntschaft mit der neuen französischen Musik schon sehr früh, etwa um 1665, gemacht.
Zu Leopolds Zeit waren also die stilistischen Gegenpole in der Instrumentalmusik die französische Suite und die italienische Sonata. Die französische Suite war genau genommen die Nachahmung der aus den Opern Lullys stammenden, außerordentlich beliebten Tanzsuiten als selbständige Kompositionsgattung durch andere Komponisten; Lully selbst hat nie ,Suiten' geschrieben. Die italienische Sonata war ein formal freies, aus der alten Canzon da sonar entwickeltes einsätziges Instrumentalstück. Die andernorts unvereinbare Gegensätzlichkeit dieser beiden Richtungen wurde in Österreich von genialen Komponisten wie Muffat, Fux und Biber zu einer neuen, faszinierenden Einheit verschmolzen.
Muffat hat sich als einziger zu diesen Stilfragen geäußert, deshalb wollen wir ihn kurz herausgreifen, auch wenn er auf dem Programm der Platte nicht erscheint: Er hatte in Paris bei Lully studiert, war dann an den Wiener Hof gekommen, wo er von Leopold I. gefördert wurde, und ging als Hofkomponist des Erzbischofs nach Salzburg. Er bezeichnete sich selbst als den ersten „LulIysten" Deutschlands. Der Salzburger Erzbischof sandte ihn aber zur weiteren Vervollkommnung nach italien. Dort schrieb er Concerti grossi in der Art Corellis, in deren Vorwort er die schönen Worte schrieb: „...da ich mich beflissen die Tieffsinnige ltalianische Affecten mit der frantzösischen Lustbar- und Lieblichkeit dergestalt zu bemäßigen, daß weder jene zu Dunckel + auffgeblasen, noch dise zu frey + außgelassen seyn möchten. Solches ist ein fügliches Sinnbild Euer Hoch Gräfflichen Gnaden hoch erhobenen Tugend = Gemüths... Diser sinnreichen Vermischung erste Gedancken hab ich vor Zeiten zu Rom gefast, allwo unterm weltberühmbten Hrn. Bernardo Pasquini, ich die Welsche Manier auff dem Clavier erlernet, da ich etliche dergleichen schön = und mit großer Anzahl Instrumentisten auffs genaueste producirten Concerten vom Kunstreichen Hrn. Archangelo Corelli mit großem Lust und Wunder gehört...". In der Widmung zum Florilegium Primum schreibt er:  "...Gleich wie aber deren Pflantzen und Blumen Vielfältigkeit der Gärten erste Anlockung ist, und großer Helden Fürtrefflichkeit auß vielen zwar, doch gemeiner Glückseeligkeit halber ineinander treffenden Tugenden erscheinet; so habet erachtet, daß zu Euer Hoch-Fürstl. Gnaden unterthänigstgebührender Bedienung, nicht einerley, sondern verschiedener Nationen beste zusammengesuchte Art sich geziemen würde. Von Euer Hoch-Fürstl. Gnaden, durch Deren Höfe und Geschöfften langen Erfahrenheit vollkommenster Verstand beförchte ich gar nicht boßhaffter, oder aber schwacher Gemüther vermessenes Anfallen, mit welchen, um weilen ich in Frankreich von denen in diser Kunst erfahrnesten Meistern meinen Anfang genommen, mich dahero besagter Nation mehr als billich zugethan, und zu diesen Französischen Krigszeiten der Teutschen günstigere Gehör unwürdig, freventlich urtheilen. Ich hat warlich andere Gedancken als: Aere ciere viros, Martemque accendere cantu: Die kriegerische Waffen und ihre Ursachen seyn ferne von mir; Die Noten, die Seiten, die liebliche Musik-Thonen geben mir meine Verrichtungen, und da ich die Französische Art der Teutschen und Weischen einmenge, keinen Krieg anstiffte, sondern vielleicht derer Völcker erwünschter Zusammenstimmung, den lieben Frieden etwann vorspiele...".
Muffat war also der erste, der die beiden feindlichen Stile bewußt und geradezu mit europöisch-versöhnlicher Symbolik verbunden hat. Diese Versöhnlichkeit will angesichts der bitteren politischen Feindschaft zwischen Ludwig XlV. und Leopold I., die durchaus imstande gewesen wäre, auch die ,Kulturfeindschaft' zwischen so verschiedenen Völkern zu vertiefen, verstanden sein. Die engen Verbindungen Muffats zum Wiener Hofe sowie die Zusammenarbeit mit seinem Salzburger Vizekapellmeister Biber führten schließlich zu einer friedlichen Vereinigung der italienischen und französischen Form im österreichischen Musikleben. Muffat war natürlich nicht der Einzige, durch den französische Musik an den Wiener Hof gelangte. Es gab eine große Zahl reisender Solisten, die das Neueste aus ihrer Heimat überall bekanntmachten; außerdem muß die kaiserliche Kapelle selbst auf ihren Reisen die französisierten Kapellen Süddeutschlands kennengelernt haben. Wenn auch Leopold selbst der rein französischen Schreibart, besonders in der Tanzmusik,
ablehnend gegenüberstand, so haben doch seine Komponisten nach und nach viele französische Elemente ihrem Stil einverleibt.
Bei vielen der von Muffat, Fux, Biber und anderen komponierten Suiten erkennt man die italienische Schule in ihren Einleitungssätzen (Sinfonia), auch gelegentlich in formal französischen Ouvertüren. Zwischen die meist französisch beeinflußten Tanzsätze flochten sie gerne freie, häufig langsame Sätze italienischer Schreibart ein. In vielen Suiten finden sich darüber hinaus noch - gleichsam als Würze - frische Tänze, die unverkennbar von der bodenstündigen Folklore inspiriert sind. Diese typisch österreichischen Suiten sind nun aber keineswegs ein scheckiges Konglomerat verschiedenartigster Stile - die große Leistung der Komponisten besteht gerade darin, aus diesen vielschichtigen Elementen und Einflüssen Neues, ein vollgültiges Ganzes gemacht zu haben.
Alle österreichischen Komponisten von Instrumentalmusik zur Zeit Leopolds I. schrieben Sonaten und Suiten. Sie pflegten also, im Gegensatz zu ihren italienischen und französischen Kollegen, sowohl den einen wie den anderen Stil. Allerdings übernahmen sie von beiden in erster Linie die Form, wöhrend sie in der Thematik oft deutsche, ungarische und böhmische Elemente zu Wort kommen ließen. So beginnt zum Beispiel eine der Sonaten aus Schmelzers ,Concentus' mit typischen, heute noch wohlbekannten Czardasphrasen, und die (französischen) Suiten aller österreichischen Komponisten sind von ganz unfranzösischen Tänzen und Themen durchsetzt. Zusammenfassend könnte man sagen, daß in Wien der italienische Geschmack wohl offiziell vorherrschend war, daß aber durch die Verbindung der italienischen und französischen Schreibart mit dem natürlichen Musikantentum der Österreicher ein neuer, typischer Stil entstand.
Nikolaus Harnoncourt

Wiener Köpfe von Nikolaus Harnoncourt
Johann Joseph Fux (1660-1741)
Johann Joseph Fux ist dem heutigen Musikfreund vor allem als Theoretiker bekannt, galt doch sein Lehrwerk „Gradus ad Parnassum" zweihundert Jahre lang als das Standardwerk des strengen Satzes. Der Komponist Fux ist heute nahezu unbekannt, gelegentlich wır sein angeblich trocken-lehrhafter Stil kritisiert, wohl weil man dem berühmten Theoretiker keine blutvolle Musik zutraut. Dabei ist Fux schon durch seine Herkunft alles eher als ein Gelehrtentyp. Seiner Karriere haftet bis heute etwas Rätselhaftes an: als Kind eines Bauern in einem kleinen steirischen Dorf 1660 geboren, kam er schon als ausgebildeter Musiker nach Wien. Sein Kompositionsstil läßt einen Lehraufenthalt in Italien vermuten. 1696 war er Organist der Wiener Schottenkirche, 1698 ernannte ihn Leopold I. zum Hofkompositeur (ein eigens für ihn geschaffener Titel), 1713 wurde er Vizekapellmeister, 1715 erreichte er das höchste Amt der damaligen Musikwelt, er wurde kaiserlicher Hofkapellmeister und blieb es bis zu seinem Tode 1741. Obwohl er sich eine umfassende humanistische Bildung zu verschaffen gewußt hatte - sein „Gradus“ ist in glänzendem Latein geschrieben -, war er, mindestens in jungen Jahren, ein leidenschaftlicher Vollblutmusiker. Im Vorwort des „Gradus" sagt er über sich: "...zur Zeit, als ich noch nicht im vollen Gebrauch meiner Vernunft war, wurde ich durch die Heftigkeit ich weiß nicht welches Triebes hingerissen, es richtete sich all mein Sinnen und Trachten auf die Musik und auch jetzt bin ich von einer beinahe wunderbaren Begierde sie zu erlernen durchglüht und wie willenlos dahin gedrängt; Tag und Nacht scheinen meine Ohren von süßen Klängen umtönt zu werden, so daß ich an der Wahrheit meines Berufes durchaus keinen Grund zu zweifeln habe." Da er in seinem Alter noch immer an der strengen Gesetzmäßigkeit der hochbarocken Musik festhielt, wurde er von der jungen Komponistengeneration als lebendes Monument der Vergangenheit betrachtet. Seine Persönlichkeit muß von bezwingender Aufrichtigkeit des Charakters gewesen sein. Scheibe, ein Musikliterat des 18. Jahrhunderts, schrieb über ihn: „Seine Tugend und seine Klugheit erwarben ihm die Freundschaft des ganzen Hofes; und seine Feinde selbst konnten ihn nicht hassen, ohne ihn zugleich zu bewundern".
Fux komponierte alles: Messen, Kantaten, Opern und Instrumentalmusik. Den ,Concentus musica instrumentalis' widmete er im Jahre 1701 dem späteren Kaiser Joseph I., der auch die Druckkosten bestritt. Diese Sammlung von Instrumentalsonaten und Suiten gehört zum Besten, was Fux geschrieben hat. Alle diese Stücke sind von einer jugendfrischen Vitalität. Hier gibt es keine überfeinerten Spielereien: man meint bäurisch-gesunde Herzhaftigkeit zu spüren. Fux selbst will die Suiten dieser Sammlung als ,leichte Kost' verstanden wissen, sagt er doch in seinem Vorwort allzu bescheiden: „...Hier hast Du, lieber Leser, meinen Concentus Musico Instrumentalis, der nicht zu dem Ende herausgegeben wurde, um Dir eine Probe eines großen Kunstwerkes zu liefern, sondern damit ich Zuhörern, die keine Musik verstehen - und deren ist ja der größte Teil -, eine Befriedigung verschaffe".
Die Sinfonia II aus dem ,Concentus' ist eine großangelegte Orchester-Suite. Der Einleitungssatz ist nicht wie in den meisten Suiten der Zeit, eine französische Ouverture, sondern eine italienische Sonata; der Titel ,Sinfonia' bezieht sich wahrscheinlich auf diesen Satz. Die Bezeichnung des nächsten Satzes ,Libertein' könnte (nach Liess) Libertin = der Freidenker, bedeuten. Die übrigen Sätze Entrée, Menuet, passepied und Ciacona folgen weitgehend dem französischen Form-schema, wenn man auch dem Menuet die enge Verwandschaft zum steirischen ,Ländler' deutlich anmerkt. Die lnstrumentation der Suite ist für jene Zeit bemerkenswert: die Oboen und das Fagott dienen nicht nur zur Verstärkung und Färbung des Streicherchores, sondern treten immer wieder allein als Soloterzett in Erscheinung.
Der Sinfonia VII aus derselben Sammlung, einem Trio für Blockflöte, Oboe und Basso continuo liegt als Programm der Streit des französischen mit dem italienischen Stil zugrunde. Dabei vertritt das damals moderne französische Instrument, die Oboe, den französischen Stil, die alte Blockflöte den italienischen. Während im ersten (italienischen) und im zweiten (französischen) Satz beide Instrumente noch einträchtig musizieren, versteift sich im nächsten Satz jedes auf seinen eigenen Stil: während die Oboe mit dem Baß eine typische Air française im alla-breve-Takt spielt, musiziert die Flöte unbekümmert ihre Aria italiana im 6/8-Takt dazu. Dieser Satz ist ein besonders schön klingendes Dokument für die Vereinigung der Stile auf Wiener Boden. Der letzte Satz, „die verwirrten Feinde", ist ein witziger und ausgelassener Abschluß des Kunststreites.

Giovanni Legrenzi (1626-1690)
Giovanni Legrenzi war einer der auch außerhalb seiner Heimat berühmtesten Komponisten seiner Zeit. Die Namen seiner Lehrer sind heute nicht mehr festzustellen. Als junger Musiker ließ er sich in Bergamo nieder, wo er auch zum Priester geweiht wurde. 1657 ging er als Kapellmeister nach Ferrara, 1665 nach Venedig, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1690 blieb. Bevor er ohne feste Anstellung nach Venedig ging, versuchte er sich eine für sein Alter angesehene und gut bezahlte Stellung zu verschaffen. Sein Ziel war ein Kapellmeisterposten in Wien, den er aber, trotz vermittelnder Hilfe des Mantuaner Herzogs und seines Wiener Botschafters nicht bekommen konnte. In Venedig wurde er Vizekapellmeister und 1685 erster Kapellmeister an der Markuskirche.
Schon von 1654 an ließ er in Venedig eine große Zahl seiner Instrumental- und Kirchenkompositionen veröffentlichen. Legrenzi fühlte sich als Komponist überall zu Hause: seine Instrumentalwerke - von der Solosonate bis zu vielstimmigen Kompositionen - waren wohl die lebendigsten und originellsten seiner Zeit. Berühmt wurden überdies seine zahlreichen Opern, auch Oratorien, Messen und Kantaten. Auf allen Gebieten galt er als besonders einfallsreich, originell und vital. Als Lehrer besaß er einen großen Einfluß. Unter seinen Schülern befanden sich spätere Berühmtheiten wie Antonio Lotti, Antonio Caldara (der spätere Wiener Hofkapellmeister) und Domenico Gabrieli. Legrenzis Bedeutung ist heute kaum noch abzuschätzen, weil nur ganz wenige seiner Kompositionen im Neudruck zugänglich und vor allem seine Hauptwerke nur wenigen Eingeweihten bekannt sind. Die Instrumentalwerke zeigen eine unmittelbare Fortsetzung der venezianischen Canzonentradition. In seiner Leopold I. gewidmeten Sammlung von Instrumentalstücken „La Cetra", die er 1673 herausgab, gibt es neben ,normalen' Streicherbesetzungen Sonaten für vier Violinen und zwei Sonaten für vier Viole da Gamba. Diese Besetzung ist für Italien ungewöhnlich.
Die Violine und die Viola da Gamba sind vom Anfang ihrer Existenz an extreme Gegensätze. Beide Typen wurden schon im 16. Jahrhundert zu einem vollgültigen Chor vom Baß zum Diskant ausgebaut.
Die Violinen waren in Quinten gestimmt, hatten keine Bünde, niedrige Zargen, gewölbten Boden und von Anfang an einen dynamischen, extrovertierten Ton. Die Gamben dagegen waren in Quarten gestimmt wie die Gitarre, hatten Bünde wie diese, hohe Zargen und einen flachen Boden; ihr Ton war silbrig und durchsichtig, unmateriell und in sich gekehrt. Die dynamischen Möglichkeiten der Gambe erschienen viel geringer als die der Geige. Die Geige war das Instrument der großen Festlichkeiten, die Gambe das der intimen Salons. In ihrer Vorliebe für bestimmte Instrumente verraten die Völker charakteristische Eigenschaften. So wurde die Geige das Medium italienischen Musizíerens par excellence,wöhrend die Gambe besonders in England und Frankreich viele Anhänger fand.
Als Kapellmeister der Markuskirche veränderte und erweiterte Legrenzi die Besetzung des Orchesters, um ein Optimum an klanglicher Farbigkeit zu erzielen, und beschäftigte dabei auch, gegenüber 21 Instrumenten der Violinfamilie, 3 Viole da Gamba. Legrenzis zwei Sonaten dürfen wohl das Einzige sein, was in Italien für Gambenquartett geschrieben worden ist. Fast unglaublich, mit welch genialer Sicherheit der Komponist die technischen und klanglichen Besonderheiten dieser unitalienischen Besetzung erfaßt hat und auf italienische Art zur Geltung bringt!
Die auf dieser Platte gespielte Sonate (Nr. 5 der Sammlung) beginnt mit einem fugierten getragenen Sätzchen, dessen Schreibweise von den englischen Fantasien für Gambenensemble inspiriert sein könnte. Das folgende homophone Adagio im a cappella-Stil der Palestrina-Zeit bringt den samtenen Glanz und den Verschmelzungsklang des Gambenchores wunderbar zur Geltung. So wird in ständigem Wechsel zwischen fugierten und homophonen Abschnitten jede Möglichkeit der Besetzung ausgenützt. In einem Presto-Mittelteil in 3/4-Takt wird ausdrücklich dynamische Schattierung verlangt. Die Sonata schließt mit einem schnellen Abschnitt im 3/2-Takt, in dem sich zwei verschiedene Motive in streng kontrapunktisch gearbeitetem Wechselspiel gegenüberstehen. Dabei scheut Legrenzi keineswegs stimmführungsmäßig bedingte Härten im harmonischen Zusammenklang. Auch dies ist eine bekannte Eigenschaft altenglischer Gambenmusik. So verstärkt sich der Eindruck, daß Legrenzi durch seine Beschäftigung mit dem alten Stil zu diesen Sonaten und vor allem auch zu deren Besetzung angeregt worden sein muß.

Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704)
Eine der faszinierendsten Musikergestalten des 17. Jahrhunderts war Heinrich Biber. Hindemith nannte ihn einmal den bedeutendsten Barockkomponisten vor Bach. Biber dürfte bei Schmelzer Violinunterricht genommen haben, jedenfalls ist seine Violintechnik eine Weiterführung derjenigen Schmelzers. Seine erste Stellung hatte Biber von 1660 bis 1670 an der berühmten Kapelle des Erzbischofs von Olmütz. Von da an bis zu seinem Tode 1704 war er als Geiger, Vizekapellmeister und Oberkapellmeister am Salzburger Hof beschäftigt. Weltruf genoß er vor allem als Geiger; für seine solistischen Leistungen empfing er an vielen europäischen Höfen höchste Ehren und wurde 1690 von Leopold I. geadelt. Aber auch als Komponisterrang er, durch die Verbreitung seiner Werke im Druck, weithin Popularität. Obwohl er von der Olmützer Kapelle ohne Erlaubnis wegging und so den Unwillen seines Brotherrn erregte, besorgte dieser sich doch eifrig alle neuen Werke seines entlaufenen Musikers. Der berühmte Tiroler Geigenmacher Jakobus Stainer, dessen Instrumente Biber bevorzugte, war mit ihm befreundet. Stainer berief sich bei der Bewertung seiner Instrumente auf das Urteil Bibers. In einem Brief nach Olmütz schreibt er: „,,, und die viola da gamba, so gar von extraordinarischenen holz und gleichsam ain königin unter dergleichen instrumenten, auch ihrer schen und giete nach wohl noch soviel werth, so der vortreffliche virtuos her Biber wol erkennen wirdet..." Biber muß, nach dem Urteil seiner Zeitgenossen, aber auch nach der Anlage seiner Solokompositionen ein grandioser Geiger gewesen sein. Er kannte bereits alle Raffinessen moderner Virtuosität. Der englische Musik-historiker des 18. Jahrhunderts Charles Burney schreibt über Biber: "...von allen Geigern des vergangenen Jahrhunderts war Biber wohl der beste. Seine Solosonaten sind die schwersten und phantasiereichsten, die ich aus jener Zeit kenne."
Biber komponierte alle Arten von Musik, seine größte Stärke aber war wohl die Instrumentalmusik. Die meisten seiner Instrumentalwerke sind naturgemäß für Streicher, wenn es auch einige grandiose Bläserstücke, vor allem für Trompeten gibt. Außer den 24 Violinsonaten ließ er noch 12 Ensemblesonaten ,Fidicinium sacro-profanum' für vier und fünf Streichinstrumente, 12 Triosonaten ,Harmonia artificiosa ariosa' und die Streichersuitensammlung ,Mensa sonora' drucken. Außerdem sind viele Instrumentalwerke Bibers handschriftlich überliefert. Unter diesen finden sich einige für jene Zeit geradezu unglaublich fortschrittliche Programmstücke, wie eine „Pauernkirchfahrt" und ein „Battaglia 1673".
Bibers Stil ist leidenschaftlich und virtuos. Sein Einfallsreichtum scheint unerschöpflich, von ihm gibt es kaum ein schwaches Stück. Er verlangt von den Instrumentisten hohe technische Fertigkeit, wobei auch die Mittelstimmen regen Anteil am virtuosen Geschehen nehmen. In der Form ging Biber überall eigene Wege: In seinen Violisonaten findet man bisher auf Streichinstrumenten nie gehörte rhapsodisch-tokkatenhafte Fantasien. Seine Suiten in ,Mensa sonora' (Klingende Taffel, oder Instrumentalische Taffel Music, mit frisch lautendem Geigenklang) haben kaum noch etwas mit französischen Suiten gemein. Sie sind echte Konzertsuiten, deren Geschlossenheit durch einen dem Anfangssatz thematisch verwandten kurzen Abschlußteil (Sonatina) gewährleistet wird. Die einzelnen Suiten dieser Sammlung sind ,Pars' überschrieben, ein anderes Wort für Partita, was ebenfalls Suite bedeutet.
Während die fünf anderen Suiten des Werkes mit förmlichen Einleitungssätzen, Sonaten oder Intraden beginnen, wird Pars III mit einer Gagliarda eröffnet. Die Gagliarda ist eigentlich ein Tanz des 16. Jahrhunderts und um die Mitte des 17. Jahrhunderts bereits so gut wie ausgestorben. Nur einige österreichische und deutsche Komponisten schrieben noch Tänze dieses Namens, die aber mit der eigentlichen Gagliarda kaum noch etwas gemeinsames haben. Sie soll im Tripeltakt stehen, die vorliegende steht im alla breve. Hier ist wohl der Name - galliard = draufgängerisch - als programmatische Satzbezeichnung zu verstehen. Die übrigen Sätze sind stilisierte Tänze, die Aria eine etwas italianisierte Gavotte. Die unerhört dicht komponierte kurze Ciacona wird durch rondoartige Verwendung der Anfangsstrophe übersichtlich gegliedert. Die abschließende Sonatina ist ausnahmsweise ein gänzlich neukomponierter Ausklang, ohne thematischen Zusammenhang mit einem der übrigen Sätzen.

Johann Heinrich Schmelzer (1623-1680)
Heinrich Schmelzer war der Sohn eines Offiziers, der im Dreißigjährigen Krieg fiel. Geboren wurde er zwischen 1620 und 1630, wahrscheinlich im Heerlager, wo er wohl auch aufgewachsen ist. Schon 1649 wurde er als Mitglied der kaiserlichen Musikkapelle geführt. Hier diente er sich vom einfachen Tuttigeiger bis zu höchsten Würden empor. Er wurde Vizekapellmeister und endlich, 1679, als erster Nicht-Italiener sogar Hofkapellmeister. Im Jahre 1680 starb er an der Pest. Schmelzer gehörte zu den Lieblingsmusikern Leopolds I. Er war mindestens seit dem Tode Bertalis (1669) der engste musikalische Ratgeber und Mentor des Kaisers, der ihm auch ein Adelsprädikat verlieh. Seine Hauptaufgabe als Komponist lag zunächst auf dem Gebiet der Tanzmusik. Er schrieb die BalletteinIagen zu einer großen Zahl italienischer Opern Draghis, Cestis, Bertalis und anderer, versorgte den Hof mit Gelegenheitsmusik für alle erdenklichen Anlässe, wie Rosseballette, Schlittenfahrten, Faschingsunterhaltungen. Man hat ihn später den ,Hofballdirektor' Leopolds I. genannt. Das erklärt, warum seine an musikalischer Substanz viel bedeutenderen Werke reiner, nicht tanzgebundener Kirchen- und Instrumentalmusik kaum bekannt geworden sind.
Schmelzer war zugleich bedeutender Komponist und einer der ersten Violinvirtuosen im modernen Sinne. Leider wissen wir nicht, wem er seine geigerische Ausbildung verdankt, auch seine Lehrer in der Komposition sind uns unbekannt. Es ist wohl anzunehmen, daß er im Heerlager, wo er aufwuchs, nicht nur musikaIische Eindrücke aller Art empfing, sondern auch, vielleicht bei einem ungarischen oder polnischen ,Volksvirtuosen', auf der Violine ausgebildet wurde. Jedenfalls war er schon in jungen Jahren als Violinsolist eine europäische Berühmtheit: Johann Joachim Müller nennt ihn in seinem ,Reisediarium bey Kayserlicher Belehnung des Chur und fürstlichen Hauses Sachsen'  "...den berühmten und fast vornehmsten Violinisten in ganz Europa".
1662 erschien sein ,Sacro-profanus concentus musicus', dem die beiden Sonaten (Nr. 3 und 10 der Sammlung) der vorliegenden Schallplatte entnommen sind. Dieses Sammelwerk enthält zwölf verschieden besetzte Sonaten. Es gibt hier Triosonaten für zwei Violinen und Continuo, Sonaten zu vier, fünf, sechs und sieben Stimmen sowie ein achtstimmiges doppelchöriges Werk. An Instrumenten werden Violinen, Violen (da Gamba), Trompeten, Posaunen und Zinken verlangt. Formal sind sämtliche Sonaten Schmelzers - sowohl die Violinsonaten als auch die Ensemblesonaten des ,concentus' - dem italienischen Stil zuzurechnen.
,Sonata' nannte man damals kurze, meist einsätzige Instrumentalstücke verschiedenster Besetzung. Eine Gliederung in langsame und schnelle Teile oder auch in Teile verschiedener Taktart gab es wohl, doch sind diese Teile nicht voneinander getrennt: einer geht nahtlos in den nächsten über, manchmal sind sie sogar durch Wiederholungen ineinander verzahnt. Im 17. Jahrhundert hatte man den großen Bedarf an Instrumentalmusik vorwiegend auf die Art gedeckt, daß man Vokalmusik, französische Chansons, italienische Madrigale oder Ähnliches für Instrumente adaptierte. Von dieser Praxis angeregt, komponierten Frescobaldi, die beiden Gabrieli und viele andere reine Instrumentalstücke, ,Canzoni da sonare', die wohl einsätzig waren, aber schon erste Anzeichen einer Gliederung, etwa durch Taktwechsel, zeigen. Diese Canzonen waren noch nicht instrumentiert, das heißt, sie konnten auf beliebigen Instrumenten gespielt werden. Aus der zunehmenden Freude an virtuosem Musizieren entstand bald auch eine Soloversion der Canzone, die, von den Virtuosen selbst geschrieben, schon für bestimmte Instrumente, etwa Violine oder Zink, konzipiert ist.
Diese italienischen Canzonen aller Besetzungen waren das formale Vorbild von Schmelzers Sonaten. Was diese Sonaten besonders reizvoll macht, sind das virtuose Element, das der Sologeiger Schmelzer auch in seine vielstimmigen Ensemblestücke bringt, und die häufigen unüberhörbaren Anklänge an ungarische und böhmischeVolksmusik, zu denen erwohlauch durch Jugenderlebnisse im Heerlager angeregt worden sein mag. Bei den in den Sonaten des ,concentus' für die Mittelund Unterstimmen geforderten ,Violen' kann es sich wohl nur um Tenor- und Baß-Violen da Gamba gehandelt haben, da Bratschen nicht den notwendigen Tonumfang besitzen. Außerdem werden, besonders in der sechsstimmigen Sonata 3, immer wieder die Violen chorisch den beiden oft solistisch behandelten Geigen gegenübergestellt. In den lnstrumentarien der für diese Musik in Frage kommenden Höfe (Wien, Kremsier) tauchen auch unverhältnismäßig viele Violen da Gamba aller Größen auf.
Die beiden hier gespielten Sonaten sind besonders schöne Beispiele der einsützigen Sonatenform. Bei der vierstimmigen Sonata X wird das markante Anfangsmotiv, das zugleich das thematische Material der ganzen Sonate stellt, am Schluß, verlängert durch acht Abschlußtakte, wiederholt und so dem Ganzen sein fester Rahmen gegeben. Dazwischen wird, in aufgelockertem Satz, im 3/2- und 4/4-Takt, - jede Stimme hat ihre solistischen Stellen - das Anfangsmotiv auf mannigfache Art abgewandelt. - Bei der Sonata III ist das Prinzip, das Anfangsmotiv zum Schluß zu wiederholen, besonders reizvoll angewandt: Die Sonata beginnt mit einer verzierten Skala, die von den tiefen Instrumenten aufsteigend in einem hohen Duett der beiden Violinen endet. Am Schluß wird nun dieses Skalenmotiv umgekehrt von oben nach unten ausklingend geführt; an diese umgekehrte Reminiszenz schließt sich wieder ein vollstimmiger, groß angelegter Abschluß an. Der ganze Mittelteil dieser Sonata ist wie sehr häufig bei Schmelzer über einer ostinaten Baßfolge aufgebaut. So erhält der überaus lockere Satz - die Instrumente spielen sich oft, einzeln oder paarweise, nur ganz kurze Motivteilchen zu - einen sinnvollen Zusammenhalt.

Leopold I. (1640-1705)
Leopold I., eine der profiliertesten Herrschergestalten auf dem Habsburger Thron, Gegenspieler Ludwig XIV. - diesen Kaiser uns als Komponisten vorzustellen, fällt nicht ganz leicht. Bei den Habsburgern war Musikliebe Familientradition, persönliche Musikalität fast eine Selbstverständlichkeit. Schon Maximilian I. hatte für den Aufbau und die Erhaltung seiner berühmten Hofkapelle Unsummen verwendet. Diese Musikliebe steigerte sich dann bei den Kaisern des 17. Jahrhunderts zur Leidenschaft. Nach der musischen Dürre des Dreißigjährigen Krieges begann eine Blüte der Künste, wie sie in diesem Ausmaß noch kaum erlebt worden war. Der Vater Leopolds I., Ferdinand III., hatte eine derart solide musikalische Ausbildung genossen, daß er nicht nur seine Kapelle sachverständig betreute, sondern auch selbst komponierte. Er zog die besten italienischen Musiker nach Wien und bestimmte so die Richtung, die in den folgenden Jahrzehnten beschritten wurde. Leopold I. war ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt gewesen. Er genoß bei den führenden Hofmusikern seines Vaters eine gründliche musikalische Fachausbildung. Der berühmte Organist Wolfgang Ebner unterrichtete ihn im Klavierspiel, Antonio Bertali in der Komposition und vielleicht auch im Spiel von Streichinstrumenten. Später wurde Leopold in allen musikalischen Fragen von Heinrich Schmelzer beraten.
Leopold I. war als Komponist überaus fruchtbar. Die frühesten von ihm erhaltenen Kompositionen stammen aus seinem 15. Lebensjahr. Er komponierte italienische und deutsche Oratorien, Messen und Motetten; zu vielen Opern Draghis, Cestis und anderer schrieb er Teile; außerdem hinterließ er deutsche Lieder und Tanzmusik. Oft gab er nur die Melodie und den Baß an und ließ die Mittelstimmen von seinen Musikern ausführen. Merkwürdig ist, daß Leopold, der der italienischen Musik, ja sogar der italienischen Sprache offiziell vor jeder anderen den Vorzug gab, selbst eine Menge deutscher Texte komponierte. Sogar Dialektgedichte finden sich in seinen Werken. Seine Zeitgenossen priesen ihn, wohl mit untertanenhafter Ubertreibung, als den besten aller Musiker. Ohne Übertreibung kann man aber sagen, daß er, besonders in seiner Kirchenmusik, ein guter, solider, wenn auch nicht genialer Komponist war.
Leopolds Musikleidenschaft ging so weit, daß er, um ein Beispiel zu nennen, Trauervorschríften nicht einhielt; in einem Brief schreibt er: „...Diese Fasching hätt ziemlich still sein sollen wegen der Klagen, doch haben wir etliche Festl in camera gehabt, denn es hilft den Toten doch nicht, wenn man traurig ist". Wenn seine Staatskasse auch noch so leer war: für Musik hatte er immer Geld. In jeder seiner Residenzen hatte er zu seinem persönlichen Gebrauch ein kostbares Cembalo stehen. Die Hofkapelle wurde unter seiner Herrschaft auf annähernd 100 Musiker erweitert. Persönlich kümmerte er sich um die Neuengagements und nahm selbst Probespiele ab.
Das ,Regina coeli' für Alt und Instrumente ist eines der ersten Werke aus seiner Feder. Leopold hat es mit 15 Jahren geschrieben. Die Handschrift der Wiener Nationalbibliothek enthält die Bemerkung „Accompagnamento di Viole del Antonio Bertalli". Bertali, selbst Streicher, hat also offenbar das Werk des jungen Erzherzogs instrumentiert: für zwei Violinen, zwei Violen da Gamba und Basso continuo. Die Violinen stellen das instrumentalsolistische Gegengewicht zur Singstimme dar, mit der sie in der Führung abwechseln, die samtweichen Gamben geben das akkordische Fundament für die Gesangsteile. Nur in der Einleitungssonata und im Schlußteil vereinigen sich alle drei Elemente. Das eingeschobene Ritornell der beiden Geigen soll das Alleluja als Engelsmusik illustrieren.
(Columbia C 91 115)