MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 116 - (p) 1965
1 LP - 1C 037-45 577 - (p) 1965

KASSEL - Am Hofe des Landgrafen Moritz von Hessen




Moritz von Hessen (1572-1632) Pavana del Francisco Segario - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I
1' 43" A1

Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Helmut Hucke, Diskant-Pommer | Helmut Schmitt, Alt-Posaune
Alfres Lessing, Tenor-Gambe | Horst Hedler, Tenor-Gambe



Moritz von Hessen Gagliarda Brunsvicese - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I 1' 23" A2

Heiner Spicker, Diskant-Gambe | Alfred Lessing, Wolfgang Eggers, Alt-Gambe
Horst Hedler, Tenor-Gambe | Heinrich Haferland, Tenor-Gambe


Christoph Demantius (1567-1643) Diese Nacht hatt ich ein Traum - aus "Fasciculus Chorodiarum", 1613, Nr. 10 1' 01" A3

Helen Donath, Sopran | Alfons Jonen, Tenor | Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte
Edward H. Tarr, Zink | Helmut Schmitt, Tenor-Posaune


Christoph Demantius Galliarde II - aus "77 neue auserlesene polinischer und deutscher art Tänze mit und ohne Texten 4- und 5st.", Nürnberg 1601 1' 19" A4

Friedrich Schnidtmann, Rosemarie Daehn-Wilke, Sopran-Blockflöte | Werner Neuhaus, Violine
 Edward H. Tarr, Zink | Helmut Schmitt, Tenor-Posaune


Christoph Demantius Zart schönes Bild - aus "Anderer Theil neuer deutscher Lieder", 1615, Nr. 2 1' 27" A5
Helen Donath, Sopran | Alfons Jonen, Tenor | Franz Müller-Heuser, Baß
Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Helmut Schmitt, Tenor-Posaune


Moritz von Hessen Pavana del povero soldato - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I 1' 43" A6

Franz Willi Neugebauer, Kurt Schmidt, Zink | Helmut Schmitt, Alt-Posaune
Wilhelm Wendlandt, Tenor-Posaune | Kurt Fedderowitz, Baß-Posaune


Moritz von Hessen Gagliarda del Sopradetto - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I 2' 10" A7

Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Helmut Hucke, Diskant-Pommer | Alfred Lessing, Heinrich Haferland, Tenor-Gambe
Werner Mauruschat, Baß-Pommer | Franz Willi Neugebauer, Kurt Schmidt, Zink
Wilhelm Wendiandt, Tenor-Posaune | Kurt Federowitz, Baß-Posaune


Moritz von Hessen Madrigal "Avanturoso piu d'altro terreno" - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen II 1' 35" A8
Helen Donath, Sopran | Alfons Jonen, Tenor | Franz Müller-Hauser, Baß
Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Edward H. Tarr, Zink


John Dowland (1562-1626)
Can she excuse my wrongs? - aus "First Book of Airs 1597" Part 1 (Nos. 1-10) in "The English School of Lutenist Song Writers" 3' 10" A9

Barry McDaniel, Bariton | Michael Schäffer, Renaissance-Laute

John Dowland Pavana "Semper Dowland, semper dolens" - London 1604 6' 11" A10

Heiner Spicker, Diskant-Gambe | Alfred Lessing, Wolfgang Eggers, Alt-Gambe | Horst Hedler, Heinrich Haferland, Tenor-Gambe

John Dowland Say, Love, if ever thou didst find - aus "Third Book of Airs 1603", Songs I to X, in "The English Lute-Songs", Series I 1' 33" A11

Barry McDaniel, Bariton | Michael Schäffer, Renaissance-Laute

Moritz von Hessen Pavana del Francisco Segario - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I 1' 43" A12

Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Helmut Hucke, Diskant-Pommer
Helmut Schmitt, Alt-Posaune | Alfred Lessing, Horst Hedler, Tenor-Gambe


Alfred Lessing, Diskant-Gambe | Herbert Naumann, Alt-Gambe | Heinrich Haferland, Tenor-Gambe


Heinrich Schütz (1585-1672)
Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir - 130. Psalm aus "Psalmen Davids", Dresden 1619
4' 37" B1

RIAS-Kammerchor | Valerie Noack, Friedrich Schmidtmann, Tenor-Blockflöte | Emil Selier, Alt-Viola | Herbert Naumann, Tenor-Gambe
Heiner Spicker, Violone | Otto Steinkopf, Baß-Dulcian | Edward H. Tarr, Zink | Helmut Schmitt, Alt-Posaune
Harry Barteld, Tenor-Posaune | Kurt Federowitz, Baß-Posaune | Wolfgang Meyer, Positiv | Gunther Arndt, Leitung


Moritz von Hessen Pavana del Tomaso de Canona à 5 Tromboni - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen I 1' 57" B2

Helmut Schmitt, Harry Barteld, Alt-Posaune | Wilhelm Wendiandt, Günther Grätzig, Tenor-Posaune | Kurt Federowitz, Baß-Posaune

Heinrich Schütz Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren - Deutsches Konzert aus dem zweiten Teil der "Symphoniae sacrae 1647" 4' 24" B3

Franz Crass, Baß | Werner Neuhaus, 1. Violine | Matthias Nakaten, 2. Violine | Emil Morneweg, Kontrabaß
Michael Schäffer, Renaissance-Laute | Wilhelm Neuhaus, Positiv


Michael Praetorius (1571-1621) Christ unser Herr zum Jordan kam - "Concert-Gesang", Wolfenbüttel 1617
9' 30" B4

RIAS-Kammerchor mit Knaben | Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Valerie Noack, Tenor-Blockflöte | Emil Seller, Tenor-Gambe
Otto Steinkopf, Baß-Dulcian | Heiner Spicker, Violone | Edward H. Tarr, Zink | Helmut Schmitt, Alt-Posaune | Harry Berteld, Tenor-Posaune
Kurt Federowitz, Baß-Posaune | Wolfgang Meyer, Positiv | Michael Schäffer, Renaissance-Lute | Günther Arndt, Leitung


Moritz von Hessen
Fuga à 4 - in "Erbe deutscher Musik", Land Kurhessen II 2' 45" B5

Friedrich Schmidtmann, Sopran-Blockflöte | Helmut Hucke, Diskant-Pommer | Helmut Schmitt, Alt-Posaune
Wilhelm Wendiandt, Tenor-Posaune | Werner Mauruschat, Baß-Pommer


Christoph Demantius Her, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren - aus "Corona harmonica", Leipzig 1610 4' 10" B6

RIAS-Kammerchor | Friedrich Schmidtmann, sopran-Blockflöte | Valerie Noack, Tenor-Blockflöte | Edward H. Tarr, Zink | Helmut Schmitt, Alt-Posaune
Harry Barteld, Tenor-Posaune | Kurt Federowitz, Baß-Posaune | Heiner Spicker, Violone | Wolfgang Meyer, Positiv
Michael Schäffer, Renaissance-Lute | Günther Arnst, Leitung





 
Interpreters (see above).

 






Luogo e data di registrazione
-

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Fritz Ganss / Gerd Berg / Christfried Bickenbach / Horst Lindner

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 116 - (1 LP) - durata 52' 21" - (p) 1965 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1C 037-45 577 - LC 0233 - (1 LP) - durata 52' 21" - (p) 1965 - Analogico

Edizioni CD
-

Cover
Matthäus Merian "KASSEL" 1648 - Sammlung Bläsner, Bonn / Selva de Mar












Moritz von Hessen, Mäzen und Meister der Musik
Die Zahl der Fürsten, die um ihrer persönlichen Leistungen in Kunst und Wissenschaft willen auf den Ruhmesbiättern abendländischer Kultur verzeichnet sind, ist keineswegs gering. Man denke an Gesualdo, Fürsten von Venosa, den ausgezeichneten Ballett-Tänzer Ludwig XV., an Friedrich den Großen und den Prinzen Louis Ferdinand von Preußen. Nicht viele allerdings haben mit ihrer künstlerischen Potenz politische Klugheit und aufrechtes Fürstentum in solchem Maße vereinigen können wie Moritz von Hessen.
Moritz, Landgraf von Hessen, wurde am 25. Mai 1572 in Kassel geboren. Wichtiger als die Namen seiner Erzieher, Tobias' v. Homberg und Caspar Crucigers, ist für die Nachwelt der des Mannes, der Moritz v. Hessen zum Musiker erzog. Es war Georg Otto, ein damals sehr bekannter und hochgeachteter Musiker und Komponist, dessen Werke zuerst vom spätniederländischen Motettenstil beeinflußt waren und später, im Morgengrauen des anbrechenden Barock, die Zeitenwende deutlich und überdies in trefflicher Satzkunst widerspiegeln. Otto wurde auch der Organisator der ausgezeichneten Kasseler Hofkapelle. Die Größe des Wirkungs- und Einflußbereiches sowie der weite künstlerische Horizont dieses Mannes (er starb 1618 - achtundsechzigjährig - an der Pest) und endlich seine pädagogische Lauterkeit bildeten die geistige und handwerkliche Grundlage für das eigene ungewöhnliche Talent des zukünftigen Landgrafen Moritz. Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) mit seinen chaotischen politischen und apokalyptischen sozialen Zuständen, aber auch heillos komplizierte Erbstreitigkeiten machten Moritz die Regierung in steigendem Maße schwierig; als 1627 schließlich die charakterschwache hessische Ritterschaft - obwohl doch aus unbeugsamen Protestanten bestehend - mit der katholischen Liga gemeinsame Sache machte, war es für den rechtschaffen und lauter denkenden und handelnden Moritz von Hessen zuviel (sein Wahlspruch hieß „Omnibus aequum" = „Allen gleich recht“), er dankte ab und lebte bis zu seinem Tode am 15. März 1632 nur noch seinen geistigen und besonders seinen künstlerischen Neigungen.
Sie indes hatten von jeher sein eigentliches Wesen ausgemacht und Moritz von Hessen im Geistesleben. vollends aber im Musikleben Europas zu einer Persönlichkeit werden lassen, mit der Verbindung zu suchen und zu pflegen auch die Größten der Zeit nicht für Hofschranzentum hielten. Gabriel, Praetorius, Demantius, Hans Leo Haßler, auch John Dowland, der größte Lautenist seiner Zeit und eigentliche Schöpfer des Liedes als legitime Kunstform - sie alle pflegten mit Moritz von Hessen Umgang oder Briefwechsel als mit ihresgleichen, als mit einem ebenbürtigen Fürsten der Musik. Denn mag der Mäzen Moritz auch eine nie versiegende Quelle materieller Förderung großer Talente gewesen sein, so können der preziöse Lautenist Moritz von Hessen und vollends der Komponist Moritz von Hessen den fürstlichen Mäzen geradezu vergessen lassen.
Die Zahl von Moritz' Musikwerken ist stattlich. Sie enthält sowohl Vokal- als auch instrumentalmusik. Die wichtigsten Vokalwerke sind die Zehn Gebote Gottes, der Lobgesang Simeonis und eine Sammlung von Motetten. Doch nicht die Vokalmusik war Moritz' von Hessen eigene Domäne, sondern die Instrumentalmusik, in der er Außerordentliches geschaffen hat, das auch hohe Vergleiche ungefährdet aushält. Anders als bei den Vokalwerken läßt sich bei Moritz' von Hessen Instrumentalmusik kein besonderes oder gar Hauptwerk nennen, sondern ihre Aufzählung kann nur in dem summarischen Plural geschehen, der für die weltliche Instrumentalmusik des Mittelalters bezeichnend war: „Paduanen, Galliarden, Fugae, Canzonen, Madrigale, Intraden“; das ist die Mehrzahl, in der die Meister des Mittelalters auch ihre noch so kostbaren instrumentalen Kleinode, wie zur Agraffe oder zu einem Sträußlein zusammengefaßt, an den Tag zu legen pflegten. Damit ist auch über die Instrumentalmusik Moritz' von Hessen das für sie Charakteristische gesagt. Obwohl der Lebenszeit ihres Schöpfers nach zwischen dem letzten Schein des Mittelalters und dem ersten Dämmern des Barock entstanden, gehört sie ihrer geistigen Substanz, ihrem Klang und ihrer inneren wie äußeren Bewegung nach noch dem Mittelalter an, das damals eben im Erlöschen war, während man in Venedig schon den Tod Gabrielis und in ihm den Anbruch des neuen Zeitalters erwartete. Die Paduanen (Pavanen), Galliarden, Intraden, Canzonen und Madrigale (die zuletzt genannten, wie Air oder Aria, aus der vokalen in die Instrumentalmusik übernommen) sind, wie später die Sätze der barocken Suite, Tanzformen. im Gegensatz zum gegenwärtigen etwas zu esoterischen Trachten nach möglichst abstrakten Formen verschmähte damals kein Meister die Tanzformen als Behältnisse auch der abstraktesten musikalischen Gedanken. Die Paduanen, Galliarden und Canzonen Moritz' von Hessen gehören noch dem musiksoziologischen Zeitalter an, wo Musik noch fern war von der späteren und erst recht der heutigen „Vermenschiichung“ durch die vordergründige Rolle dessen, der sie spielt. Damals galt noch nicht der „Interpret“, ja, meistens war nicht einmal das Instrument expressis verbis vorgeschrieben; vielmehr wurde die Disposition zur Besetzung eines Werkes dem damals unfehlbaren Sinn für seine Substanz aus dem wundersam schönen Instrumentarium der Zeit getroffen: Blockflöte, Pommern als Diskant, Alt, Tenor oder Baß, Gamben in allen Stimmlagen, dann Zink, Posaunen, Laute, Spinettino; wurde freilich auch im glücklichen Besitze und in der durch nichts getrübten Gewißheit einer heute leider schon fast unbegreifiichen Fähigkeit getroffen: diese allem Frenetischen oder auch nur Lauten abgewandte, still inständige Musik in jeglicher Besetzung und selbst in unvollkommener Ausführung gleichsam von Angesicht zu Angesicht wahrzunehmen und in ihrer glückseligen Vereinigung von Transzendenz und betörender irdischkeit ganz zu begreifen.
Friedrich Schmidtmann

Christoph Demantius
Christoph Demantius wurde am 15. Dezember 1567 zu Reichenberg in Böhmen geboren, war also knapp achtzehn Jahre älter als Heinrich Schütz, der ihn aber um fast drei Jahrzehnte überlebte. Bereits als Wittenberger und Leipziger Student veröffentlichte Demantius mehrere Gelegenheitswerke, die bei Fachleuten Beifall fanden. Anno 1597 erhielt er den angesehenen Posten des Zittauer Stadtkantors; freilich fühlte er sich in dieser Position nicht recht glücklich, weil verworrene Schulverhäitnisse seine Schaffenskraft lähmten. Deshalb reichte er im April 1604 seine Bewerbung um das vakante Amt des Freiberger Domkantors ein, gestützt auf das Gutachten eines autoritativen Gönners, der den „berühmten und kunstreichen Musicus“ den Behörden der sächsischen Bergmannsstadt nachdrücklich empfah!. Hier blieb er nun nach erfolgreich abgeiegter Probe seßhaft. Hochbetagt starb er in Freiberg am 20. April 1643.
Ein befreundeter Chronist widmete seinem Andenken lateinische Distichen, die in deutscher Übersetzung lauten: „Soiang Apoll den Sangesmeister, der holden Musen Chor umringt, Solang in klangerfüllten Kreisen dankbar das Lied zu Gott erklingt: Solange wird man deinen Namen, Demant, mit hohem Lobe preisen, Und deine Töne gute Gabe wird später Nachruhm noch erweisen". Auch in Freiberg konnte sich Christoph Demantius nur mit Mühe durchsetzen. Der unterricht an der Stadtschule, der zwangsläufig zu den Aufgaben des Domkantors gehörte. machte ihm wenig Freude: freilich scheint es, daß er auch geringe pädagogische Begabung besaß, ähnlich wie später Johann Sebastian Bach, der sich am liebsten in Elementarklassen vertreten ließ. Außerdem schildert der Rektor seinen Kollegen - vermutlich wahrheitsgemäß - als „turbulentum ingenium“, als „unverträglichen Geist“. Vor allem aber mußte Demantius - ebenso wie Heinrich Schütz in Dresden - beruflich wie persönlich unter den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges leiden, der in Kursachsen noch grausamer wütete als in anderen deutschen Provinzen. Marodierendes Gesindel schleppte Seuchen ein, die die Bevölkerung dezimierten; Kontributionen schwächten die Finanzkraft ehemals reicher Bürger, und unter dem Einfluß der rauhen und rohen Soldateska verwilderten die Sitten. So interessierten sich nur noch wenige Einwohner für kulturelle Veranstaltungen; für die Beschaffung neuer Noten fehlte das Geld; für stärker besetzte Musik standen nicht genug Mitwirkende zur Verfügung, und dem Dirigenten gelang es manchmal kaum, die Disziplin des Chores aufrechtzuerhalten. Trotzdem entstanden und erschienen in dieser unruhigen Zeit gewichtige Werke von Christoph Demantius, darunter, chronologisch geordnet: 1601: Sieben vnd siebentzig Newe außerlesene, Liebliche, Zierliche, Polnischer vnd Teutscher Art Täntze, mit und ohne Texten, zu 4. vnd 5. Stimmen; 1602: Isagoge artis musicae... Kurtze Anleitung recht vnd leicht singen zu lernen mit dem ersten alphabetischen Musikwörterbuch, bis 1671 in zehn Auflagen herausgegeben; 1610: Corona harmonica. Außerlesene Spruch aus den Evangelien, auff alle Sontage vnd Fürnembste Fest durch das gantze Jahr, mit sechs Stimmen; 1613: Fasciculus chorodiarum. Newe Liebliche vnd Zierliche, Polnischer' vnd Teutscher art, Täntze vnd Galliarden mit vnd ohne Texten, zu 4 vnd 5 Stimmen; 1615: Ander Theil Newer Deutscher Lieder... mit fünff Stimmen gesetzet.
An dieser Liste, bei der es sich allerdings nur um einen kleinen Auszug handelt, fallen die Lieder im Rhythmus deutscher und polnischerNationaltänze auf, die nach Belieben gesungen oder auf Instrumenten gespielt werden können. Demantius schrieb sie in einer Notzeit der Geschichte unter soziologischem Aspekt für ein Publikum, das "eine recreation begehret, wenn es durch seine vielfältigen occupationes abgemattet oder unlustig gemachet ist." Selbstverständlich nahm er diese sogenannte "Unterhaltungsliteratur" ebenso ernst wie seine Evangelienmotetten, Begräbnisgesange, Choralbearbeitungen und seine sechsstimmige Passion nach Johannes.
Die Produktion des Meisters wuchs schließlich derart an, daß sich 1618 ein einheimischer Verlag etablierte, der zunächst ausschließlich Kompositionen des Freiberger Kantors druckte. Diese Noten verbreiteten sich rasch über das ganze Land und gingen auch ins Repertoire der Kasseler Hofkapelle über; so heißt es beispielsweise in den Rechnungen, die das Marburger Staatsarchiv aufbewahrt: „2 goldgulden Demantio einem componisten, so l. f. gn. (Ihrer Fürstlichen Gnaden) newliche cantiones verehrt“.
Gotthold Frotscher

John Dowland
Unter der Regierung Elisabeth I. und James l. errang die englische Musik ihren ersten Höhepunkt europäischer Wirkung. Den größten Anteil an diesem Erfolg hatten Lautenkompositionen. Etwa ab 1580 zeichnet sich eine Entwicklung ab, die volkstümliche Elemente mit höfischer Verfeinerung erband. Die Errungenschaften europäischer Polyphonie wurden in kunstvoller Form um einen einfachen melodischen Kern gelegt; gleichzeitig gewannen die besten Komponisten (erwähnt seien nur William Byrd und Robert Parsons) ihrer verfeinerten Satztechnik eine bislang unbekannte Gefühlstiefe ab, so daß man die Epoche um 1600 mit Recht als das Goldene Zeitalter englischer Musik bezeichnet. Dieser plötzliche Aufschwung steht nicht ohne Bezug zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des damaligen Englands. Das Britische Reich dehnte sich sowohl nach Amerika als auch nach Asien aus, und das handeltreibende Bürgertum konnte sich Vergnügungen leisten, die zuvor nur der Adelsschicht vorbehalten waren. Das musikalische Leben am Hof der ersten Elisabeth wurde eifrig in bürgerlichen Kreisen nachgeahmt, und die Künste, unter denen die Musik keine geringe Rolle spielte, wie auch die Wissenschaften nahmen einen ungeheuren Aufschwung. Für die hohe Wertschätzung, welche die Musik fand, lassen sich allein bei Shakespeare so zahlreiche und ergriffene Belege finden wie bei keinem späteren großen Dichter. So wird es auch verständlich, daß trotz höfischen und bürgerlichen Mäzenatentums zum ersten Mal in der englischen Musikgeschichte der freie Berufsmusiker ohne feste Anstellung leben konnte. Dieser Konsolidierung der sozialen Position entsprach auf der anderen Seite ein über den bürgerlichen oder gar höfischen Verstehenshorizont gehendes Streben nach persönlicher Autonomie, das seinen sichtbarsten Ausdruck im unsteten Wanderleben findet, zu dem sich viele der bedeutendsten Komponisten jener Zeit innerlich gezwungen fühlten. Auch John Dowland (1562-1626) gehört zu jenen, deren Leben aus der festen Bahn geworfen wurde. Wegen seines katholischen Glaubens (den er in späteren Jahren aufgab) wurde er, ähnlich wie Byrd, in England verfolgt. So trieb es ihn auf den Kontinent, wo er in Paris, Kassel, Venedig und Florenz wirkte. Hier machte er sich mit allen Neuerungen europäischer Musik vertraut, die er bruchlos seinen Kompositionen einzuverleiben verstand. Eine Zeit der äußeren Ruhe und Seßhaftigkeit fand Dowland als Kammerlautenist des dänischen Königs von 1598 bis 1606. Aber es trieb ihn gegen Ende seines Lebens wieder nach England zurück, wo er ab 1616 zum Königlichen Lautenisten ernannt wurde und von seinem Ruhm zehren konnte. Kein anderer seiner Zeitgenossen durfte von sich behaupten, daß er „Anerkennung im größten Teil Europas gefunden und daß man in acht großen kontinentalen Städten seineWerke gedruckt“ habe. Seine Kompositionen fallen in zwei Formgruppen: den Gesang mit Lautenbegleitung sowie reine Instrumentalsätze. Zur ersten Gattung gehören seine drei Books of Songs or Ayres (1597, 1600 und 1603), zum zweiten Genre seine 1605 veröffentlichten Lachrymae or seaven Tears figured in seaven passionate Pavans.
Die Lautenkompositionen Dowlands zeichnen sich aus durch eine Vereinigung von ausdrucksvoller Thematik und reich figurierter Begleitung. Der große melodische Bogen, der die Kompositionen seiner Zeitgenossen Rosseter, Campian, Morley und Ford charakterisiert, ist zwar auch bei ihm vorhanden, aber weniger glatt ausgeschrieben. Der Melodielinie Dowlands eignet eine gewisse Spröde, kühne Intervallkombinationen und lebhafte Bewegung.
Der scheinpolyphone Stil der Satztechnik verbindet sich bei ihm mit ungewöhnlicher Leidenschaftlichkeit im Ausdruck, die chromatischen Harmonien unterstützen deklamatorische Momente. Ein weiteres Charakteristikum findet sich bei Dowlands Vokalkompositionen in der Identität von Wort und Musik. Seinen Lautenliedern haftet die Zerbrechlichkeit feinster Schöpfunger an, deren Gleichgewicht eben durch die ausgewogene Instrumentierung dichterischer Sprache gegeben ist. Anders als in den spanischen und italienischen Vokalkompositionen der gleichen Zeit wird von den Elisabethanischen Lautenkomponisten, und besonders von Dowland, keine dramatische Miniaturszene in Musik umgesetzt; vielmehr glückt den Engländern eine Subjektivierung des Ausdrucks, so daß man von musikalischer Gefühlslyrik sprechen kann. Die Wirkung dieser Lieder auf den Hörer erklärt sich dadurch, daß nicht eine textliche Vorlage objektiv dargestellt wird, sondern allein dadurch, daß die Spannung zwischen dem sachlichen Vorwurf und der musikalischen Form völlig im Gefühl aufgeht. Darin war Dowland (geschichtlich gesehen) seinen Zeitgenossen überlegen.
Die Subjektivierung seiner Gesänge weist auf das deutsche Kunstlied der Romantik hin, ja sie steht Schubert entschieden näher als etwa den Liedern Mozarts. So ist es auch kein Zufall, daß Dowland, von wenigen Liedern abgesehen, Liebesgedichte vertont, und zwar meist düsteren Inhalts. Immer zielt er auf Identifizierung von Innen und Außen und nimmt damit den musikalischen Symbolismus der Lieder des 19. Jahrhunderts vorweg.
Ulrich Schreiber

Heinrich Schütz
Heinrich Schütz, am 14. Oktober 1585 zu Köstritz in Thüringen als Sohn eines Gastwirts geboren, trat im Alter von vierzehn Jahren in das Kasseler Collegium Mauritianum ein, das Landgraf Moritz „Der Gelehrte“ kurz vorher für Pagen, Edelknappen und Kantoreiknaben begründet hatte. Er erhielt in dieser Musteranstalt eine umfassende humanistische Bildung, wirkte als „alumnus symphoniacus“ bei den regelmäßigen Aufführungen in der Kirche wie im
Schlosse mit und lernte unter Anleitung des Hofkapellmeisters Georg Otto eine reichhaltige Literatur gründlich kennen. Zunächst dachte Heinrich Schütz allerdings überhaupt nicht daran, sich für einen musikalischen Hauptberuf zu spezialisieren. Dem Rate ängstlicher Verwandter folgend, belegte er nach dem Abgang von der Schule an den Universitäten Marburg, Frankfurt an der Oder, Jena und Leipzig juristische Kollegs und Seminare, um einen akademischen Grad zu erwerben und sich danach um den sicheren Posten eines Verwaltungsbeamten zu bewerben. Doch dann griff der Landgraf, selber ein tüchtiger Komponist, als großzügiger Mäzen in das Schicksal des jungen Mannes ein, als dieser seine Berufung noch nicht erkannte: Im Frühling 1609 schickte er seinen Protegé mit ei^em stattlichen Stipendium zum intensiven Fachstudium bei dem veltberühmten Venezianer Maestro Giovanni Gabrieli nach Italien, das damals Malern, Dichtern und Musikern als „Gelobtes Land“ galt.
Wahrscheinlich wollte der Hohe Herr seinen Günstling durch dieses Beneficium' für dauernd zu seinen Diensten verpflichten; jedenfalls ernannte er vorerst den jungen Meister nach der Rückkehr aus italien pro forma zum Zweiten Hoforganisten ohne festgelegtes Arbeitspensum. Auch in dieser günstigen Situation konnte sich Schütz noch immer nicht für die Kunst oder die Wissenschaft entscheiden; in seinem "fast mühseellgen Lebenslauf" erzählt er später: „Undt ermangelte damahls auch an meiner Eltern und anverwandten Raht und antrieb noch nicht, welcher meinung kurz umb war, das durch anderweit meine zwar geringe Qualiteten, Ich mich bedient zu machen und förderung zu erlangen trachten, die Music aber als eine nebensache tractirer solte“.
Schließlich trat ein scheinbarer Zufall ein, der unter geschichtlichem Aspekt wie eine Fügung anmutet: Der hessische Lardgraf nahm zu zwei Staatsbesuchen seinen Titular-Organisten in seinem Gefolge mit nach Dresden; und hier machte Schütz als Sub-Dirigent mehrchöriger Motetten von Michael Praetorius so starken Eindruck auf die adlige Gesellschaft, daß der Wettiner Kurfürst ihn zu engagieren wünschte.
Moritz gab seinen Schützling nur ungern frei; doch er wollte der Laufbahn des Genies nicht im Wege stehen und mußte wohl auch aus diplomatischen Gründen Rücksicht auf gute Beziehungen zu einem mächtigen Regenten nehmen. So übernahm denn Heinrich Schütz offiziell am 12. Februar 1617 die Leitung der leistungsfähigen Sächsischen Hofkapelle: und er verwaltete dieses repräsentative Amt länger als ein halbes Jahrhundert, bis er - hochbetagt - am 6. November 1672 in Dresden starb. Zeitlebens erhielt er die Verbindung mit der hessischen Residenzstadt aufrecht. Noch nach dem Tode des Landgrafen Moritz schickte er persönlich seine neun Kompositionen nach Kassel. Die Landesbibliothek besitzt seither als kostbaren Schatz viele seiner Manuskripte (zum großen Teil Unica), ferner eine fast lückenlose Sammlung von Originalausgaben seiner Werke, darunter die Psalmen Davids, als opus 2 anno 1619 gedruckt, und die Symphoniae sacrae, deren zweiter Teil im Jahre 1647, kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. erschien. Gebrauchsspuren an den abgegriffenen Notenblättern beweisen, daß man in Kassel diese erhabene Musik seit je gern und oft sang, spielte und hörte.
Gotthold Frotscher

Michael Praetorius
Wie Heinricn. Schütz stammt auch Michael Praetorius aus Thüringen. Er wurde in Creuzburg an der Werra (Bezirk Eisenach) geboren, wahrscheinlich am 15. Februar 1571; allerdings läßt sich dieses Datum urkundlich nicht belegen. Sein Vater, der seinen Familiennamen noch nicht latinisierte und sich auf gut Deutsch Schulteis oder Schultze nannte, mußte als orthodoxer Lutheraner wegen konfessioneller Streitigkeiten bald seine dortige Pfarrstelle aufgeben und siedelte nach Torgau über, wo sein jüngster Sohn aufwuchs. Erstaunlich früh ließ sich Michael Praetorius in die Matrikel der berühmten Universität Frankfurt an der Oder eintragen; während des Studiums der Theologie und Philosophie wirkte er hier als Organist der Marienkirche. Dann trat er in die Dienste des Halberstadter Herzogs Heinrich Julius. Am 7. Dezember 1604 erhielt er die Bestallung zum Braunschweigischen Hofkapellmeister, verbunden mit den Organistenämtern in Gröningen und Wolfenbüttel. Außerdem stellte er sich oft und gern mit seinem künstlerischen Rat und seinem organisatorischen Geschick anderen Städten zur Verfügung und reiste für kürzer oder länger u. a. nach Bückeburg, Dresden, Halle, Kassel, Leipzig, Magdeburg, Naumburg, Nürnberg und Sondershausen. Am 15. Februar 1621, also vermutlich an seinem fünfzigsten Geburtstag, starb der vielbeschäftigte und unermüdlich tätige Mann in Wolfenbüttel.
Als systematischer Musiktheoretiker übertrifft Michael Praetorius frühere Autoren durch profundes Wissen und präzise Definitionen; sein dreibändiges „Syntagma musicum", heute wieder in Faksimileausgaben zugänglich, behandelt alle wesentlichen Fragen der Aufführungspraxis, des Instrumentenbaues, der Formenkunde usw. Als Komponist gehört er zu den fleißigsten Meistern seiner Epoche, und das will wahrlich viel heißen zu einer Zeit, in der die meisten Kantoren kaum einen Tag vergehen ließen, ohne ein paar Seiten Noten zu schreiben. Viele Werke überließ er unentgeltlich karg besoldeten Kollegen in der Provinz, um ihre wichtige Kulturarbeit in armen Gemeinden selbstlos zu unterstützen.
Mit dem hessischen Landgrafen Moritz stand Michael Praetorius in freundschaftlicher Verbindung; das bezeugt unter anderm ein kunstvoller Concert-Gesang Christ unser Herr zum Jordan kam, den er dem Fürsten beziehungsvoll zu einer Tauffeier am 26. Juni 1617 widmete.
Gotthold Frotscher

Englische Musiker in Deutschland
Die rasch aufblühende Musikkultur des deutschen Frühbarock ist en Ergebnis der Assimilierung. Vor allem waren es natürlich italienische und französische Einflüsse, die der Entstehung eines spezifisch deutschen Musizierstils ihren Stempel aufdrückten. Verhältnismäßig wenig bekannt aber ist es, wie stark insbesondere die eigenständige deutsche Instrumentalmusik vorübergehend durch englische Musiker angeregt wurde. Neben so europäischen Berühmtheiten wie dem Lautenisten John Dowland und dem Virginalisten John Bull finden sich in den Jahren zwischen 1580 und 1630 fast in jedem Kapell-Register deutscher Höfe Namen ausgewanderter englischer Musiker, die als geschätzte Violin- und Lautenspieler den wechselvollen und mit mancherlei Unduldsamkeiten geführten Glaubensstreitigkeiten ihrer Heimat entflohen waren. Oft treten diese Musiker in ganzen „Compagnien“ auf, und zur Zeit von Elizabeth I. und Jacob I. durchzogen englische Schauspielertruppen ganz Europa. Die reich mit Musik durchsetzten Stücke ihres Repertoires wurden durch ein äußerst typisches und charaktervolles Ensemble bestritten, das sogenannte gemischte Consort (Laute, Zither, zwei bis drei Violen, Baß-Gitarre, Blockflöte, Pfeife und Trommel).
Durch englische Violisten, wie Brade, Simpson, Flood, Price, Jordan, Dixon u. a., wurde der kunstvoll-polyphone, durch rhythmisches Raffinement bereicherte Streichersatz in Deutschland heimisch.
Einzelne Typen von Tanzsätzen, wie die „Branden", die Mascheraden und die Volten, bürgerten sich auf diese Weise ein, und so wurde eine entscheidende Erweiterung des ursprünglichen Tanzpaares: Pavane und Galliarde eingeleitet, eine Entwicklung, die dann entscheidend die Entstehung der Suite in Gang setzte. Die Tanzmusik jener Zeit, wie sie uns von Scheidt, Haußmann, Otto und anderen vorliegt, ist ohne das Wirken dieser englischen Musiker nicht denkbar.
Aber nicht nur als Komponisten, sondern auch als Kapellmeister und vorzügliche Instrumentalisten haben die englischen Emigranten nachhaltig auf die Musizierpraxis ihres Gastlandes eingewirkt. Insbesondere Dowlands Lautenlieder in ihrer für jene Zeit ungewöhnlichen Subjektivität, ihrer sangbaren Melodik und dem bezwingenden melancholischen Charme ihrer Harmonien waren so populär und durch zahlreiche deutsche Nachdrucke verbreitet, daß man ihren Einfluß auf das private und höfische Musizieren nicht hoch genug einschätzen kann.
(EMI Electrola 1 C 037-45 577)