MUSIK IN ALTEN STÄDTEN UND RESIDENZEN


1 LP - C 91 101 - (p) 1961
1 LP - 1 C 037-46 522 - (p) 1961

DÜSSELDORF - Am Hofe Jan Wellems




Agostino Steffani (1654-1728)

"Tassilone" - Tragedia per Musica (in 5 atti) - Text von Stefano Benedetto Palavicini 18' 46" A1
- Sinfonia (Ouvertüre) - Grave · presto


- Arie des Adalgiso: "Piangerete, io ben lo so"

- Ballo (Chor der Soldaten: "D'onori e premi e prede"

- Rezitativ und arie der Rotrude: "Ferma, ferma, padre ingannato! - Tutta tremo e per le vene"

Marlies Siemeling, Sopran | Manfred Schmidt, Tenor | Günther Arndt-Chor


Karl Steins, Oboe | Eugen Müller-Dombois, Laute | Heinz Friedrich Hartig, Cembalo


Die Berliner Philharmoniker | Wilhelm Brückner-Rüggeberg, Dirigent


Hugo Wlderer (1670-1724)

Quid gloriaris misera humanitas? - Konzertierende Motette aus "Modulationi Sacre" für Alt, Tenor, Baß, Streicher und Generalbaß 9' 20" A2
Sieglinde Wagner, Alt | Theo Altmeyer, Tenor | Theo Adam, Baß

Wolfgang Meyer, Orgel | Die Berliner Philharmoniker | Karl Forster, Dirigent

Johann Schenk (1660-1712)

Suite Nr. 3 h-moll - Aus "Scherzi Musicali" für Viola da Gamba und basso continuo 10' 20" B1
- Preludium · Allemande · Courant · Sarabande/Variatio · Gigue

Alfred Lessing, Viola da Gamba | Walter Thoenem Cembalo continuo | Hoest Hedler, Viola da Gamba continuo


Agostino Steffani

"Placidissime catene rallentarvi è crudeltà" - Kammerduett für Sopran, Alt und Geberalbaß 6' 30" B2
Pilar Lorengar, Sopran | Sieglinde Wagner, Alt


Eugen Müller-Dombois, Laute | Heinz Friedrich Hartig, Cembalo | Paul Rainer Zepperitz, Kontrabaß


Arcangelo Corelli (1653-1713)

Concerto grosso Nr. 9 F-dur
9' 00" B3
- Preludio · Allemanda · Corrente · Gavotta · Adagio/Menuetto


Georg Friedrich Hendel, 1. Violine | Hans Bünte, 2. Violine | Betty Hindrichs, Violoncello | Günter Karau, Cembalo


Kammerorchester des Saarändischen Rundfunks | Karl Ristenpart, Dirigent








 
Interpreters (see above).

 






Luogo e data di registrazione
-

Registrazione: live / studio
studio

Producer / Engineer
Fritz Ganss / Gerd Berg / Christfried Bickenbach / Horst Lindner

Prima Edizione LP
Columbia - C 91 101 - (1 LP) - durata 53' 56" - (p) 1961 - Analogico

Altre edizioni LP

EMI Electrola - 1 C 037-46 522 - (1 LP) - durata 53' 56" - (p) 1961 - Analogico

Edizioni CD
-

Cover
Düsseldorf - Anonymer Stich (1. Hälfte 18. Jahrhundert) - Stadtmuseum Düsseldorf












Der Hof Jan Wellems
"Jan Wel|em" nannten ihn seine Untertanen |n der Residenzstadt Düsseldorf; sie hatten ein Recht zu dieser Vertraulichkeit, denn er war am 19. April 1658 im Düsseldorfer Schloß geboren, hatte zeitlebens dort gewohnt und sprach ihre Mundart. Noch heute erinnert an ihn das große Reiterstandbild, das mitten auf fem Gemüsemarkt vor Tussmanns Rathaus steht ind ihn in der Blüte seiner Jahre, auf der Höhe seines Ruhmes darstellt. Mit der Selbstherrlichkeit des echten Barockfürsten hatte er es bei seinem hochgeschätzten Hofbildhauer, Chavalier de Grupello bestellt; die dankbare Stadt hat später - um 1830 - einen bescheidenen sockel dazu gestiftet. Dankbar waren ihm seine treuen Untertanen eigentlich nicht, denn Jan Wellem verstand es, hohe steuerliche Abgaben von ihnen zu verlangen und sie auch einzutreiben. Doch das Gefühl für die Größe dieser Zeit und die Stellung Jan Wellems blieb in seiner Vaterstadt über alle Widrigkeiten des Schicksals hinweg bestehen.
Jan Wellem entstammte dem bayerischen Hause Wittelsbach. Sein Großvater, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg an der Donau, erbte das theinische Land, weil seine Mutter eine Anna von Kleve war. Das Sinnen und Trachten des Vaters Philipp Wilhelm, ging dahin, die Macht und das Ansehen seines Hauses durch neue Verbindungen zu festigen. Er vermählte seine Töchter mit den Königshäusern von Portugal und spanien, die älteste sogar mit dem deutschen Kaiser Leopold I. Johann Wilhelm, sein Erbprinz, erhielt die Stiefschwester des Kaisers zur Germahlin; nach ihrem frühen Tode heiratete er Anna Maria Louisa von Toscana aus dem Hause Medici.
Schon zu Lebzeiten des Vaters übernahm Johann Wilhelm das Herzogtum Jülich und Berg. Der Vater erbte 1685 die Rheinpfalz mit der Hauptstadt Heidelberg und wurde damit Kurfürst. Nach dem Tode des Vaters vergrößerte Johann Wilhelm sein Land durch geschickte Verhandlungen, wurde Kurfürst der Oberpfalz und Truchseß des deutschen Reiches. Bei der Kaiserkrönung Karls VI. am 22. Dezember 1711 in Frankfurt am Main übte er dieses Amt "im vollen Glanz seiner Würde" aus.
Durch den Friedensvertrag zu Rastatt 1714, der den spanischen Erbfolgekrieg beendete, verlor der Kurfürst die Oberpfalz und die Würde des Reichsvikars. Seelisch und körperlich gebrochen starb er am 8. Juni 1716 im alten Schloß zu Düsseldorf.
Die Erziehung des Erbprinzen Johann Wilhelm war durch ständige Verbindung mit den Mitgliedern der "Gesellschaft Jesu" in religiösen Lobensfragen und den Geisteswissenschaften die denkbar beste. Die Beherrscgung mehrerer Fremdsprachen, Kenntnis der Geschichte, Pflege der ritterlichen Tugenden, höfische Lebensformen, zu denen auch Tanzen, Singen und Musizieren gehörten, waren an einem Hofe, der dem kunstliebenden Kaiserhaus so nahe stand, eine Selbstverständlichkeit. Auf einer zweijäjrigen Reise an die bedeutendsten Fürstenhöfe seiner Zeit - Brüssel, Paris, London, Rom, Wien - erhielt der junge Prinz vor allem von den umfassenden und künstlerischen Gesamtplanungen Ludwigs XIV. von Frankreich einen bachhaltigen Eindruck, Der vom "Sonnenkönig" bis in jede Einzelheit der Etikette und Künstlerischen Gestaltung geforderte und persönlich kontrollierte Aufbau eines Staatswesens blieb für Johann Wilhelm, der aus dem an patriarchalische Formen gewöhnten Deutschland kam, zeitlebens ein erstrebenswertes Ziel. Aus den Staatsakten des Düsseldorfer Hofes kann man ersehen, wie er die Regierungsgeschäfte mit peinlicher Genauigkeit wahrnahm, kommentierte und vor allem die Rechtsprechung besonders beachtete. Gegen die "juristischen Quacksalber" ging er mit unerbittlicher Strenge vor, behandelte sie gelegentlich aber auch mit Humor. Man erzählt, daß Jan Wellem den Avokaten seiner Residenz "als Neujahrsgeschenk ein wunderschönes frazösisches, leicht verständliches Gebet gesandt habe, das ihre Absichten und Studien heiligen könnte und sollte."
In seinen weit ausgestreckten Landen, vom Niederrhein hinauf bis zum Oberrhein und an der Donau antlang bis nach Böhmen, war es bei den kriegerischen Zeiten oft nicht möglich, für die nötige Ordnung und Ruhe zu sorgen. Es war die Zeit, da die Türken vor Wien standen, die Franzosen die Pfalz besetzten und Heidelberg niederbrannten und der spanische Erbfolgekrieg die Lande unsicher machte. Nach einem Vertrag mit dem Kaiserhaus mußte Jan Wellem ein Söldnerheer mit 6000 Mann aufstellen. Seine Staatskasse wies daher stets erhebliche Löcher auf, obwohl der Kurfürst sie geschickt aus neu eingerichteten Steuern und durch Subsidienverträge aufzufüllen wußte. Sobald es sich jedoch um persönliche Belange oder um die Repräsentation seines Hofes handelte, standen alle Mittel zur Verfügung. Chavalier de Blainville schreibt im Jahre 1705 aus Düsseldorf: "Der Hof ist zahlreich und glänzend, und man tut nichts ohne Pracht und Herrlichkeit. Bälle, Opera, Comödien, Musikkonzerte, Freudenfeste, alles ist herrlich. Und alle diese Ergötzlichkeiten genossen wir fast alle Tage während des ganzen Monats."
Daß man im Rheinland Feste zu feiern verstand, an denen das ganze Volk teilnahm, bezeugt heute noch der rheinische Karneval, der damals wegen der strengen Observanz der Fastenzeit die eigentliche Theatersaison bildete.
Das Theaterwesen war ein Lieblingskind aller europäischen Höfe, und bei theatralischen Aufführungen spielte die Musik eine gewichtige Rolle. Durch reiche Beziehungen nach Wien und Italien konnten auswärtige Musiker entweder dauernd verpflichtet oder zur Opernsaison herbeigeholt werden. Es war das Eigentünliche des Barockzeitalters, daß es Tradition bewahrte und den "Virtuoso", eine Schöpfung der Renaissance, beibehielt, ihn sogar als Glanzlicht in der Gloriole des Monarchen betrachtete. Kastraten und später - Primadonnen bildeten die eigentliche Attraktion der höfischen Oper.
Der Reiz alter und neuer Musikinstrumente, namentlich der vielfarbige Reiz der Streichinstrumente, die vom rauhen Kratzen bis zur flötensüßen Höhe der Vogelstimmen wirkliche Naturgeräusche nachahmen konnten, entzückten damals wie heute die vergnügungssüchtigen Zuhörer. Schon der Großvater Jan Wellems hatte einen der ersten Violinvirtuosen, Biagio Marini, an seinen Hof gezogen. Unter den Hofleuten des Enkels waren außer den obligatorischen "ritterlichen Hof- und Feldtrompetern" als Spezalität noch ein Lautenist namens Sigismund Weiß und der berühmte Gambist Johann Schenk aus Amsterdam. Die Vorliebe für Mehrstimmigkeit deutet auf höhere musikalische Ansprüche am Hofe hin. Es mag daher mehr als ein Zufall sein, daß der berühmte Römer Arcangelo Corelli, der bewußt auf die öußerliche Virtuosität seiner Geigenkollegen verzichtet und in der Vereinfachung und Vertiefung des musikalischen Satzes letztes Ziel seines Strebens sah, Jan Wellem die reifste Frucht seines Könnens, die 12 concerti grossi op. 6, widmete.
Auch die Berufung des weltgewandten Diplomaten, Priesters, Sängers und Opernkomponisten Agostino Steffani an den Düsseldorfer Hof läßt vermuten, daß Anzeichen eines neuen Stils sich bemerkbar machen, denn Steffani hat mit großem Erfolg an der Rückführung des neuen monodischen Stils in die alten Grundlagen der musikalischen Polyphonie gearbeitet. Ebenso läßt die Vorliebe des Fürsten für die feinsinnige Pinselei des Modemalers Adrian van Werff aus Rotterdam oder die Stilleben des Jan Weenix die Anbahnung eines neuen Stils erkennen, die Wende vom Spätbarock zum graziösen Rokoko. Hauptmerkmal des kurfürstlichen Hofes war also die Pflege der Kunst. Von Jan Wellems selbständiger künstlerischer arbeit nennen die Biographen Elfenbeinschnitzerei. Dieses Material mit seinen zarten Farbtönen und feinen Linienführungen läßt erkennen, daß das künstlerische Streben auf Verfeinerung gerichtet war. Das Porzellan, das Jan Wellem bereits sammelte, sollte in der nachfolgenden Zeit zum bevorzugten Material der plastischen Gestaltung werden.
Durch den persönlichen Kontakt mit einer großen Schar hervorragend begabter, schaffensdurstiger Künstler (Architekten, Maler, Bildhauer, Stukkateure, Goldschmiede, Uhrmacher, Waffenschmiede), deren Werke heute noch von Kennern und Liebhabern geschätzt werden, verstand Jan Wellem es, seinem Repräsentationssinn und dem Ehrgeiz der Kunstschaffenden zu genügen. Hier sparte er niemals mit Anerkennung, beförderte seine Schützlinge zu Kammerherren und Ministern und erhob sie sogar in den Adelsstand. Der Großvater war mit Rubens befreundet und hatte von ihm Bilder erworben. Der Enkel, der vielleicht schon empfand, daß die Größs dieser Zeit vorüber war, begann, mit Hilfe seines ausgezeichneten Hofmalers Douven, die Werke der großen Niederländer und Flamen zu sammeln; systematisch und unter Aufwendung großer finanzieller Mittel. Diese Mittel fehlten ihm bei der Ausführung seiner architektonischen Pläne, z.B. eines Schlosses im Versailler Stil. Die Räume des alten Schlosses, in denen er die Gemälde unterbrachte, wurden zu eng, so daß ein Galeriebau errichtet werden mußte. Schloß und Galerie stehen heute nicht mehr.
Die Bilder aber, darunter auch Werke italienischer Meister, mußten nach Jan Wellems Tode wegen der kriegerischen Unruhen - die befestigte Stadt wurde des öfteren belagert - in benachbarte Residenzen verlagert werden. Im Jahre 1806, als der Nachfolger Jan Wellems, Kurfürst Max von Bayern, König geworden war und das Bergische Land den Franzosen zugesprochen wurde, brachte man den gesamten Bilderschatz - wiederum aus Sicherheitsgründen, weil die Preßen mit dem Einfall in Düsseldorf drohten - nach München, wo er heute noch den Grundstock der alten Pinothek bildet.
Jan Wellem war Sammler aus Leidenschaft. Er hatte mit Möbeln, Medaillen und Münzen begonnen und achtete darauf, daß die Sammlungen möglichst bis zu Vollständigkeit ergänzt wurden. Nachdem er zum europäischen Fürsten von Rang und Namen emporgestiegen war, nahmen seine Pläne phantastische Formen an. Der klassizistische Geist, auch dies ein Charakteristikum des Düsseldorfer Hofes, ließ ihn die Werke der großen griecjischen Plastik sammeln. Um zumindest getreue Abbilder der nicht zu erwerbenden Originale zu besitzen, arbeiteten 17 Gipsgießer für ihn in Rom, wo man diese Leidenschaft mit Verwunderung notierte. Diese Plastiken sind von Herder, Schiller und Goethe zu einer Zeit beschrieben worden, als die meisten schon in die Mannheimer Residenz seines Nachfolgers angewandert waren.
Die sichtbaren Zeichen der Regierungszeit Jan Wellems (sein Jagdschloß in Bensberg wurde z.B. zu einer Kadettenanstalt ungebaut und verschandelt) sind heute verschwunden oder existieren nur noch an wenigen Stellen, so z.B. in Heidelberg und Düsseldorf. Vielleicht war mehr als das bildnerische Erbe die Liebe und Pflege der Musik seine für die Zukunft debeutungsvollste Tat. Denn in der Hofkirche, im "Gehörsaal" des Schlosses und im eigenen Opernhaus wirde Musik edelster Herkunft und ausführung geboten. Der junge Händel, der länger als beabsichtig auf einer Durchreise am Düsseldorfer Hof verweilte, mag von der Größe und Vielseitigkeit der hiesigen Kunstbestrebungen gefesselt gewesen sein. In der Kunst, den Alltag zum Festtag zu erhöhen, war die Musik die wichtigste Mittlerin. Sie mit Liebe gepflegt zu haben, ist ein Ruhmesblatt des Kurfürsten Jan Wellem und seines Hofes.
Wolfdiether Meinardus

Agostino Steffani
Das Wirken Steffanis für die Düsseldorfer Oper drängt sich in einen Zeitraum von wenigen Jahren zusammen. Die steile Karriere dieses ungewöhnlichen Mannes (1654-1728, dessen diplomatischer Ehrgeiz und apostolischer Eifer nie ganz befriedigt werden konnten, hatte mit der Ernennung yum Bischof von Spiga (1706) und zum Apostolischen Vikar für die norddeutschen Missionen (1709) einen äußeren Höhepunkt gefunden. Musik lag wohl sehr am Rande einer Tätigkeit, die mit der geschickten und "überaus glücklichen Erledigung schwierigster Geschäfte" für den Kurfürsten angefüllt war. Trotzdem sind drei Opern von seiner Hand für die Düsseldorfer Zeit verbürgt (Arminio 1707, Amor vien dal destino und Tassilone 1709) obwohl er seine Autorschaft beharrlich unter Vorschub seines Sekretärs und bevoyzugten Kopisten Gregorio Piva zu verschleiern suchte.
Die Parallele des Tassilone-Stoffes (Tassilone III., Herzog von Bayern, hatte gegen Ende des 8. Jahrhunderts eine Verschwörung gegen Karl den Großen angezettelt) zu aktuellen Ereignissen des Spanischen Erbfolgekrieges, in dessen Verlauf Kurfürst Max Emanuel von Bayern sich gegen den deutschen Kaiser mit Ludwig dem XIV, verbündete, wurde durch Gerhard Croll bei der Neuherausgabe des Werkes überzeugend nachgewiesen. Für Johann Wilhelm von der Pfalz, der mit diesen für Max Emanuel unglücklichen Auseinandersetzungen mit der Erringung der bayerischen Kurwürde und der Oberpfalz 1707 einen glänzenden diplomatischen Sieg errungen hatte. bedeutete Pallavicinis Libretto also eine persönliche, sehr beziehungsvolle Huldigung.
Am 18. Januar 1709 konnte der Düsseldorfer Hofkaplan Joseph Paris Feckler in einem Brief an Johann Philipp Franz von Schönborn berichten: "Die zweite opera aber, welche gestert das Erste mahll gespüllt worden, isl also ohnvergleichlich und wass magnifiques, das ainhallig gesagt wurde. alhir niemahlen dergleichen gesehen zu sein". Die Namen der Sänger dieser Uraufführung blieben erhalten. So erfahren wır, daß z.B. die Rolle der Rotrude von dem berühmten Soprankastraten Antonio Pasi, die des Gheroldo von dem bevorzugten Künstler des Kurfürsten, Valeriano Pellegrini (dem Nerone in Händels Agrippina) und die des Adalgiso von dem auch als Komponist und Dichter erwähnten Lorenzo Santorini gesungen wurde.
Die zweisätzige Sinfonia eröffnet mit einem pathetisch geschwellten Grave französischer Manier in einer für Steffani typischen durchsichtigen Leuchtkraft des Satzes. Das anschließende Presto mit seiner lockeren Fugatowirkung macht delikaten Gebrauch von den gegensätzlichen Klangeffekten eines Bläserkonzertinos (zwei Oboen, Fagott) im Wechsel mit starken Tutti-Einsätzen. Adalgisos getragene Dacapo-Arie „Piangerete, io ben lo so” ist erfüllt von der Hoffnung, daß sein Nebenbuhler Gheroldo in einem Zweikampf mit Tassilone unterliegen möge. Das vollstimmige Orchester beschränkt sich hier lediglich auf eine kurze Umrahmung, um innerhalb der Arie dem reichkolorierten Wechselspiel des Tenors mit einer obligaten Oboe das Feld zu überlassen. Solche obligaten Arien hatte vor allem die Venezianische Oper in Fülle hervorgebracht, ein beredter Ausdruck der Freude am virtuosen Wettstreit zwischen Sängern und Instrumentalisten.
Wie alle Düsseldorfer Opern dieser Zeit ist auch Steffanis Tassilone mıt zahlreichen Chor- und Tanzstücken durchsetzt, in denen die Prachtentfaltung auf der Szene - wohl beeinflußt durch die französische Ballettoper - ihre Höhepunkte findet. In dem Coro di soldeti "D'onori e premi e prede" mit anschließendem Ballo begrüßen die Soldaten stürmisch ihren Feldherrn Gheroldo, der mit ihnen in den Krieg zieht.
In auswegloser Verzweiflung beklagt die liebende Rotrude ihr Geschick in der Szene "Ferma padre ingannato!" Das Rezitativ steigert sich vom "trokkenen" Sprechgesang zu arios ausgeweiteten Passagen. Die Adagiolyrik der nachfolgenden Arie "Tutta tremo" erhält ihren besonderen Reiz durch die innige, flächige Begleitung der Violinen und Violen (ohne Baß), ein schwebender Effekt, wie er im Schaffen Alessandro Stradellas und des jungen Scarlatti mit Vorliebe genutzt wirde. Die verhaltene Trauer dieses Gesanges wird nur einmal im Mittelteil dirch die schmerzlichen Ausbrücke "Partirò? Resterò?" aufgestört.
Rückhaltlose Bewunderung seiner Zeitgenossen und einen fast legendären Nachruhm aber erlangte Steffani durch seine mehr als hundert Kammerduette, "Muster an Schönheit und Technik", in denen der Schüler Johann Kaspar Kerlls und Ercole Bernabeis den strengen Kontrapunkstil römischer Prägung und den Belcanto-Schmerz der Opernmelodie zu feinsinnigen, in sich vollkommenen Gebilden edelster Substanz umformte. Diese einzigartigen Beispiele vokaler Kammermusik waren schon am bayerischen Hof "bei der Tafel" gesungen und für die Hausmusik zahlreicher adeliger Liebhaber kopiert worden; noch E.T.A. Hoffmann preist in einer Novelle "jene ernste tiefgehaltene Duetten von Abbate Steffani". Eine möglichst farbige Ausführung des Generalbasses, wie hier im Duett "Placidissime catene rallentarvi", gibt dem frei ausschwingenden Linienspiel der beiden Singstimmen den Notwendigen satten Grund.
G.B.

Johann Hugo Wilderer
"Modulationi sacre", geistliche Musiken, hat der kurplälzische Hofkapellmeister Johann Hugo von Wilderer (1670-1724) seine erste veröffentlichte Komposition betitelt. Der in Bayern geborene und in Venedig von Giovanni Legrenyi ausgebildete Musiker war seit etwa 1692 in Düsseldorf ansässig; zunächst als Organist an der Hofkirche St. Andreas, wenig später dann als "Vice-maestro di Capella" und schließlich - im Jahre 1703 - in der Stellung eines Hofkapellmeisters von Jan Wellem, der ihm vermutlich auch das Studium bei dem venezianischen Meister nahegelegt und ermöglicht hatte. Mit seinem Amt am kurfürstlichen Hofe trat Wilderer als maßgeblicher Mann an die Stelle des "armen gantz kränckligen Capellmeister Don Sebastiano Moratelli", wie es in einem Brief heißt, den Jan Wellem an seine Schwester, die Kaiserin Eleonore Magdalene Therese, in Mai 1699 gerichtet hat.
Iokaste, Der Tag des Heyls oder Demetrius in Athen, La Monarchia stabilita, Armeneo und andere in Süsseldorf "auff der neuen Schaubühne Seiner Chur-Fürstlichen Durchlaucht zu Pfaltz" aufgeführte Opern in italienischer Sprache und einem dem spätvenezianischen nahen Stil bilden den Mittelpunkt der kompositorischen Tätigkeit Wilderers, der von Jan Wellem zum Kammerrat und 1704 oder 1705 in den adelsstand erhoben worden ist. Nur ein Teil der zehn großen Bühnenwerke, der beiden Oratorien, der Kantaten und Motetten aus Wilderers Feder ist erhalten. Nach dem Tode Jan Wellems wurde der bedeutende Kapellmeister Hugo Wilderer an den Hof des Kurfürsten Karl Philipp nach Heidelberg und Mannheim berufen. Welche Kraft aber die Musik des Düsseldorf Barockmeisters besitzt, ersieht man daraus, daß eines seiner Werke - eine Missa brevis - von Johann Sebastian Bach kopiert, später als Komposition des Leipziger Thomaskantors angesehen und sogar in die alte Gesamtausgabe der Werke Bachs aufgenommen worden ist.
Die Aulae descripto de vanitate mundi, mit der Dem Hofe eine Schilderung von der Eitelkeit der Welt vorgeführt werden sollte, ist die fünfte der für zwei, drei oder vier Singstimmen mit Violinen und Generalbaß komponierten Modulationi sacre.
Als "mia prim' Opera", als sein erstes Werk, bezeichnete Wilderer diese geistliche Musik, die er Jan Wellem zugeeignet und dem Ansterdamer Verleger Etienne Roger zur Herausgabe anvertraut hat. Über dem Fundament des Generalbasses zieth sich der Klangverband dreier solistischer Singstimmen (Alt, Tenor, Baß) und dreier Violinen hin - sie lösen sich ab, verflechten sich ineinander und künden warnend im erhabenen Gewande der lateinischen Sprache von der "vanitas", der Eitelkeit und dem verfehlten Ziele menschlichen Strebens. Zu dieser durch Wort und Musik gleich einprägsamen Motette bemerkt Joseph Neyses, einer der besten Kenner von Düsseldorfs musikalischer Vergangenheit: "Auch in diesem Werk, das sich den Biegungen des Textes ausdrucksvoll anschmiegt, zeigt sich Wilderer durch die plastische Herausarbeitung der textlichen Einzelheiten, mit ihren häufig geforderten Nuancierungen in Tempo und Dybamik, als geborener Dramatiker".
W. Th.

Johannes Schenk
Das hohe Ansehen, dessen sich die Viola da Gamba und einer ihrer vorzüglichsten Virtuosen erfreut haben, süricht mit aller Deutlichkeit aus eibem Stich des jüngeren Schenkbruders Peter. Diese Graphik zeigt den Meister des Instrumentes zwar nicht beim Spiel, wohl aber in einer spielähnlichen, repräsentativen Haltung, in der der Künstler und seine behutsam auf den Polsterstuhl placierte Viola da Gamba wie zwei gleichberechtigte Persönlichkeiten erscheinen. Johannes Schenck, 1656 in Elberfeld geboren, begab sich als junger Mann nach Amsterdam, verkehrte dort als Gambist in  reichen Bürgerkreisen und fand mit seiner Kunst Eingang in die Residenzen musikliebender Fürsten. Durch mehrere Gastspiele der Düsseldorfer Oper in Amsterdam muß Jan Wellems Aufmerksamkeit auf den prominenten spezialisten des von ihm so hochgeschätzten Instrumentes gelenkt worden sein. Um 1697 zog er ihn als Hof-Cammermusikus nach Düsseldorf. Das Wahl-Diarium zur Krönung Kaiser Karls VI. in Frankfurt am Main (1711) führt Schenk gar als Cammer-Rath des Kurfürsten auf. Immer noch breitet sich Dunkel über den späteren Lebensweg Johannes Schenks. 1716, im Todesjahr Jan Wellems, soll er nach Amsterdam zurückgekehrt sein.
Mit fünf Werkgruppen - Sonaten und Suiten - hat Johannes Schenk sein Instrument bedacht. Neben den für zwei unbegleitete Violen da Gamba komponierten Nymphe di Rheno sind es die vierzehn SCHERZI MUSICALI PER LA VIOLA DA GAMBA, die im Jahre 1692 als opus VI in Amsterdam bei Etienne Roger erschienen sind und zeigen, welch hohen Rang auch die deutsche Gambenkunst um 1700 eingenommen hat. Der Titel der Sammlung ist nicht im Sinne des Beethovenschen Scherzos zu verstehen, sind doch diese Suiten Zyklen, in denen neben anderen Typen die vier Stammsätze der barocken Tanzfolge - Allemande, Courante, Saranabde und Gigue - ohne allen humoristischen Einschlag und ohne jegliches dämonische Gebaren auftreten. Statt dessen herrschen höfische Grayie, Adel und vornehme Zurpckhaltung. Die hier dargebotene dritte Suite wird eröffnet durch ein Preludium, dessen Ablauf das Spiel "à discretion" erheischt - das in Frankreich beheimatete freie und improvisatorische Anyiehen und Nachlassen des Tempos. Dem stegreifartigen "Einspielen" reiht sich dann das "Bündel" der Suitensätze mit unterschiedlichem Tempo und gegensätzlichem Charakter an. Eine Variation nur läßt länger beu der gravitätischen sarabande verweilen und wandelt ihr pathetisches Gehaben in geschmeidigere Bewegung um. Mit federnder Sprungkraft versucht dann die abschließende Gigue, die Lebhaftigkeit der rhzthmisch schon geschärften Courante zu überbieten.
W. Th.

Arcangelo Corelli
Arcangelo Corelli (1653-1713) hinterließ ein vergleichsweise schmales Oeuvre, das sich einzig auf Instrumentalwerke beschränkt. Und doch hat wohl kein anderer Instrumenalkomponist seiner Zeit ihn an Bedeutung und Einfluß übertroffen. Unermüdlich hat er vor jeder zögernden Herausgabe an seinen Kompositionen gefeilt, alle technische Überladenheit daraus verbannt und dadurch einen Stil geschaffen, der die spezifische Eigentümlichkeit eines jeden Instrumentes beispielhaft zur Geltung kommen ließ.
Das Concerto grosso Nr. 9 in F-dur gehört zur Gruppe der vier concerti da camera, die zusammen mit acht schwerblütigeren Kirchenkonzerten als Concerti grossi op. 6 1714, also nach dem Tode Corellis, veröffentlicht wurden. Dem breiten Preludio mit der großen Geste seiner scharfpunktierten Rhythmen schließt sich eine Reihe traditioneller Sätze der älteren Instrumentalsuite an, Aber die unvergleichliche Behandlung des Melodischen, die phantasievolle Einsprengung konzertierender Elemente und die feine Balance im Gegenüber von "solo" und "ripieno" lassen etwas völlig Neues entstehen, das Corelli wenn nicht als eigentlicher Begründer, so doch als ersten richtunggebenden Vertreter dieser nunmehr rasch aufblühenden Gattung erscheinen läßt.
G.B.
(EMI Electrola 1 C 037-46 522)