HARMONIA MUNDI
1 LP - HM 30 317 I - (p) 1970
1 CD - 74321 32321 2 - (c) 1995

WERKE FÜR CEMBALO UND ORGEL







Girolamo FRESCOBALDI (1583-1643) Toccata ottava - aus "Toccata e partite d'intavolatura di cimbalo. Libro primo." Rom 1615
cembalo 4' 30" A1

Cento Partite sopra Passacagli - aus "Toccate d'intavolatura di cimbalo et organo. Libro primo." Ausgabe Rom 1637 cembalo 12' 25" A2

Recercar terzo - aus "Recercari et canzoni francese in partitura. Libro primo." Rom 1615 cembalo 5' 20"
A3

Toccata nona - aus "Toccata e partite d'intavolatura di cimbalo. Libro primo." Rom 1615 cembalo 5' 35" A4

Toccata - aus: Manuskript Torino Nr. 6
orgel 4' 30" B1

Toccata per l'elevatione - aus "Fiori musicali di diverse compositione." Venedig 1635 orgel 4' 15" B2

Canzona sesta - aus "Il secondo libro di toccate." Rom 1627 orgel 2' 02" B3

Capriccio secondo sopra la, sol, fa, mi, re, ut - aus "Il primo libro di capricci... in partitura." Rom 1624 orgel 9' 05" B4

Fantasia sesta sopra dei soggetti - aus "Il primo libro delle fantasie a quattro." Milano 1608 orgel 7' 35" B5





 
Gustav Leonhardt
- Cembalo (Johann Ruckers, Antwerpen 1640)
- Orgel (Graziadio Jun.?, Antegnati in San Carlo in Brescia, um 1630)

 






Luogo e data di registrazione
1970


Registrazione: live / studio
studio

Recording Supervision
Dr. Alfred Krings | Heinz Jansen


Engineer
-


Prima Edizione LP
Harmonia Mundi | HM 30 317 I | 1 LP - durata 55' 27" | (p) 1970


Edizione CD
Deutsche Harmonia Mundi | LC 0761 | 74321 32321 2 | 1 CD - durata 65' 11" | (c) 1995 | ADD


Cover Art

Girolamo Frescobaldi (Archiv für Kunst und Geschichte)


Note
-














"Intendomi chi può che m'intend'io"
Lange Zeit galt er als der große Erneuerer oder sogar Begründer einer Instrumentalkunst, bis kluge Wissenschaftler entdeckten, daß andere die Formen der Ricercari und Capricci, der Toccaten und Canzonen schon früher entwickelt hatten, daß sich auch die Merkmale seines Stils bei Zeitgenossen und Vorgängern in Venedig und Neapel nachweisen lassen. Mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod preist ihn der ferraresische Kapellmeister Battiferri als den "celebratissimo Girolamo Frescobaldi, Mastro deli Organisti, inventore di tanti stili di suonare, e mio maestro" - und doch hat der Gefeierte in Italien keine Nachfolger. Seine Wirkungen reichen nach Norden. Über seine Schüler Froberger und J. K. Kerll geht sein Einfluß nach Süddeutschland und Österreich, über andere nach Norden, wo Tunder und Buxtehude seinen Stil aufgreifen.
J. S. Bach kopiert 1713 in Weimar den ganzen Band der "Fiori musicali", sein Schüler Kirnberger den der Ricercari.
Wer ist dieser Mann, Zeitgenosse des großen Monteverdi, den man als "stupore del tasto", als glänzenden Organisten an Sankt Peter in Rom bis zu seinem Lebensende bewundert, der in seinen Instrumentalwerken einen für seine Zeit verbindlichen Stil schuf, denn "wer heute nicht in seinem Stil spielt, wird nicht beachtet"? Was sagt sein Werk, das, nur zum Teil veröffentlicht, bis heute für die Musikwelt in seiner Bedeutung unerschlossen ist?

Sein Leben
Frescobaldi wurde geboren in Ferrara. Seit dem 15. Jahrhundert herrschte hier die Familie der Este und hatte die Stadt zu einem kulturellen Mittelpunkt Oberitaliens gemacht. Je zwei Herzöge mit den Namen Ercole und Alfonso schufen den Ruf des "felice albergo", wie Torquato Tasso die Stadt genannt hat, als einer Herberge der Künste. Dichtung, bildende Kunst, Musik und Tanz vereinigten sich zu einer festlichen Darstellung des Lebens; Architekten, Maler, Dichter und Musiker waren die gefeierten Freunde eines kunstfreudigen Renaissance-Hofes.
Vor 1500 besaß die Hofkapelle schon europäischen Ruhm. Die Niederländer Josquin des Prez, Jacob Obredıt und später Adrian Willaert hatten hier gewirkt und den Hof in berühmten Messen und Motetten gefeiert. Frescobaldi erlebte in jungen Jahren die letzte Glanzzeit der 1597 aufgelösten Hofkapelle. Sein Lehrer war ein sehr modern denkender Musiker, zugleich wohl der damals bedeutendste Komponist in Ferrara: Luzzasco Luzzaschi. Die Tradition altniederländischer Polyphonie lernt er bei ihm ebenso kennen wie die kunstvoll verzierten Solo-Madrigale des neuen Stils, deren Meister Luzzaschi war. 1624 noch rühmt ihn Frescobaldi als seinen ersten Lehrer "ne' miei primi anni sotto la disciplina del Signor Luzzasco, Organista si raro et servitore si caro alla Serenissima Casa d'Este".
Der Fünfundzwanzigjährige ist mit einem Schlag berühmt. Soeben noch Organist in S. Maria in Trastevere in Rom, geht er mit dem päpstlichen Nuntius auf Reisen nach Flandern, veröffentlicht in Brüssel, wenige Wochen später in Mailand die ersten eigenen Musikdrucke und erscheint daneben in Venedig mit gewichtigen Werken in einer Canzonensaınmlung neben den bekanntesten Komponisten seiner Zeit. Im selben Jahr 1608 wird er Organist an der Capella S. Giulia des Petersdoms. Dies Organistenamt hat er bis zu seinem Tod innegehabt, doch war das Domkapitel mit Urlaub sehr großzügig. 1614 suchte ihn der Herzog von Mantua aus dem Hause Gonzaga nach dem Weggang Monteverdis an die kunstliebende oberitalienische Stadt zu binden. Weitreichende Versprechen blieben jedoch unerfüllt, so daß Frescobaldi bald abreiste. Ein längerer Aufenthalt ist in Venedig anzunehmen, wo die dem Kardinal Barberini gewidrneten "Fiori musicali" 1635 erscheinen.
Wenig weiß man über Frescobaldis längste Trennung von Rom. Zwischen 1628 und 1634 wirkte er längere Zeit in Florenz als Hoforganist bei Ferdinand II., dem Großherzog von Toscana aus dem Hause der Medici. Doch Rom zog ihn wohl immer wieder an, das nach langer Stagnation seit dem 16. Jahrhundert zu neuem Leben erwacht war. Renaissance und Barock bauten hier eine neue Stadt, die mit ihren Plätzen und Brunnen, Kirchen und Palazzi der Antike kontrastierte. Michelangelo und Bramante hatten die neue Entwicklung großartig eingeleitet, die barocke Vollendung brachten Frescobaldis Zeitgenossen Bernini und Borromini, die überragenden Architekten und Bildner. Die glanzvolle Epoche wurde gefördert durch die römischen Patrizierfamilien, die auch Frescobaldis Mäzene waren. In den Widmungen seiner Drucke hat er sie genannt, die Borghese und Barberini, die Aldobrandini und Bentivoglio.

Die Werke
Der Ruhm des Organisten an St. Peter strahlte unter Zeitgenossen und Nachfahren so hell, daß man neben den Kompositionen für Cembali und Orgel die anderen Werke Frescobaldis übersah. Dabei hatte er, wie es üblich war, seine Veröffentlichungen mit einem Band fünfstimmiger Madrigale begonnen. Der Schüler des Luzzaschi schrieb Solo-Madrigale und Arien im neuen Stil. Der Kirchenmusiker hinterließ neben zahlreichen Motetten auch zwei achtstimmige Messen, womit er der in Rom nach venezianischem Vorbild entwickelten Neigung zur Mehrchörigkeit huldigte. Vor allem aber sind uns bedeutende Canzonen für wenige Instrumente erhalten, die Frescobaldis freien Musikstil auf die Kammermusik übertragen.
Epochemachend blieben nur die Werke für Tasteninstrumente. Ihre Reihe wird 1608 mit einem Buch vierstimmiger Fantasien eröffnet, die wie alle polyphonen Werke in Form einer Partitur mit vier Systemen notiert sind. 1615 folgte dann das erste Buch der Toccaten und Partiten für Cembalo. Die sehr erfolgreiche Ausgabe nennt erst in der fünften Auflage von 1637 neben dem Cembalo die Orgel als Instrument, auf dem solche Werke zu spielen seien. Im selben Jahr 1615 erschienen die ersten Ricercari und Canzonen, in den zwanziger Jahren die Capricci und der zweite Band der Toccaten, als Spätwerk schließlich 1635 die "Fiori musicali", jene Sammlung liturgischer Stücke, die J. S. Bach später zu Studienzwekken kopierte.

Die Formen
Motette und Französische Chanson der Renaissance hatten als Vorbilder für Ricercare und Canzona gedient, letztere konnte man daher als "Canzona alla francese" bezeichnen. Diese polyphonen Formen der Instrumentalmusik, denen bei Frescobaldi Fantasia und Capriccio nahestehen, hatten zunächst die themenreiche Anlage der Vorbilder nachgeahmt. Bei der Motette wie bei der lebhafter deklamierenden Chanson gab es soviel Themen wie Textabschnitte, die sich, in immer neuen Imitationen entwickelt, locker aneinanderreihten. Da der Text nun wegfiel, mußten neue Wege für längere Instrumentalwerke gefunden werden. Das Ergebnis waren die Variations-Ricercari und -Canzonen. Das eine Thema, nun das ganze Werk beherrschend und zur Einheit führend, wurde in den verschiedenen Abschnitten melodisch oder rhythmisch verändert. Es gab dann so viele Expositionen des Themas wie Variationen.
Frescobaldi entwickelte eine zweite Form. Bei ihm bleibt das Thema zwar unverändert, doch nach und nach werden ihm ein Contrapunkt oder mehrere Contrasubjekte zugeordnet. Diese Gegenthemen können schon am Anfang eines Werkes dem ersten Thema beigegeben werden, wie in der gewaltigen Fantasia sesta über zwei "soggetti", bei der das Gegenthema die Fortführung des ersten Themas bildet.
Den ganzen Formenreichtum der alten Polyphonie breitet Frescobaldi aus: Mehrfache Verkleinerungen (Diminutionen) und Vergrößerungen (Augmentationen) der Themen, Umkehrungen und Krebsgänge sind in seinem Repertoire ebenso zu finden wie die Zeichen des alten Cantus firmus mit seinen langgedehnten Noten. Rätselvolle Devisen geben dem Spieler Gelegenheit, Spürsinn und Kombinationsgabe zu entfalten. Das alles sind überlieferte Mittel altniederlandischer Polyphonie, ihre Formeln stehen nun aber in einem neuen Zusammenhang, der sich im Aufbau der Großform zeigt. Schon die strengen Ricercari und Fantasien, noch in einem einheitlichen rhythmischen Modus ablaufend, kennen eine innere Gliederung eben durch die Wahl verschiedener technischer Mittel von Abschnitt zu Abschnitt. Durch sie wird sogar eine unterschiedliche Geschwindigkeit des Ablaufs suggeriert.
Die deutliche Gliederung der Großform wird in den Canzonen fortgeführt. Schon ihrer Herkunft nach war ihre kontrapunktische Struktur weniger streng, neben den imitierenden Teilen enthielt sie auch kurze akkordische Abschnitte oder Übergänge. Die frühbarocken Komponisten, besonders Frescobaldi, trieben die Gegensätze zu einem solchen Extrem, daß die Variationscanzona oft aus zehn und mehr Abschnitten bestand, bei denen Schreibweise, Tempo und Charakter ständig wechselten. Ihre nervöse Diskontinuität stand in schroffem Gegensatz zu den Werken der Renaissance. Frescobaldi trennte aber auch die Variationsabschnitte noch durch espressive Adagio- Kadenzen und ausgeschriebene Triller, doch behielt die Canzona insgesamt ihren leichtfüßigen Stil.
Von der vielgliedrigen Form der Canzona war es nicht weit zu den Partiten, deren Variationsreihen sich an Melodien, aber auch an vorgegebenen Bässen oder rhythmisch-harmonischen Formeln entfalten konnten. Das glanzvollste Beispiel solch freier Variationskunst sind die "Cento Partite sopra Passacagli".
Frescobaldis Kunst ist nicht zu verstehen ohne die Betrachtung jener Werke, die schon immer originär instrumental entwickelt worden waren und den neuen Stil am deutlichsten ausprägen. Die Toccaten waren ursprünglich wohl aus improvisierten Intonazioni und Präludien entstanden. Der venezianische Organist Claudio Merulo hatte sie mit weitläufigem virtuosen Passagenspiel versehen, das von akkordischen Abschnitten oder von kurzen Imitationen unterbrochen werden konnte. Das ungegliedert freie Phantasieren dieser venezianischen Toccaten ist in seiner Herkunft nicht leicht zu verstehen, vielleicht spiegeln sich darin musikalische Anregungen des Ostens, die in der Seestadt Venedig vermutet werden können. Frescobaldi greift diese Kunst auf, die der barocken Neigung zu den Extremen so sehr entgegenkommt. Das erste Buch seiner Toccaten ist erfüllt von einem Rausch einer sich frei entfaltenden Phantasie, die sich wie in den Madrigalen Monteverdis einer Kunst des unmittelbaren Ausdrucks zuneigt.
Auf die modernen Madrigale bezieht sich Frescobaldi dann auch im zweiten Buch seiner Toccaten, wenn er in der Anweisung an den Leser schreibt, daß man die Spielart nicht streng dem Takt unterwerfen muß, sondern sich wie bei den Madrigalen nach dem Sinn der Worte oder dem Ausdruck richten muß. Bis in Einzelheiten gibt er Erläuterungen, wie dieses freie Spiel zu geschehen habe, welche Tempi der Spieler nehmen, wie er beschleunigen und ritardieren soll. Bei größeren, vielgliedrigen Werken darf der Spieler sogar Abschnitte auswählen und ähnlich seine Stücke zusammenstellen, wie man es in der jüngsten Musik unserer Zeit gewohnt ist. Alle seine Regeln ordnet Frescobaldi aber immer dem Geschmack des gebildeten Musikers unter. Dem feinen Urteil der Spieler bleibt es überlassen, die Affekte dieser Musik darzustellen. Fast wird man an Frescobaldis Schüler Froberger erinnert, der seine Werke nicht in Druck geben wollte, weil doch keiner wie er Charakter und Spielart dieser Kunst treffen könne.
Hier liegen die Schwierigkeiten für eine Interpretation Frescobaldis, hier findet man auch den Grund dafür, daß er der großen Wiederentdeckung noch harrt. "Verstehe mich, wer kann, da ich mich nur verstehe."
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Die beiden Instrumente, die Gustav Leonhardt spielt, mögen das Klangideal wiedergeben, das Frescobaldi bei seinen Kompositionen geleitet hat. Bei seinem Aufenthalt in Brüssel lernte er wohl jene klangschönen Cembali kennen, die von der Familie Ruckers gebaut wurden und von denen eines aus dem Jahre 1640, das sich im Besitz der Grafen Landsberg-Velen befindet, freundlicherweise für unsere Aufnahme zur Verfügung stand. In der gleichen Zeit entstand die kostbare Orgel der berühmten Familie Antegnati in der kleinen Klosterkirche San Carlo in Brescia. Der milde Klang der Prinzipale ist für das italienische Orgelideal kennzeichnend.