HARMONIA MUNDI
1 LP - HM 30 492 K - (p) 1968
1 CD - 05472 77191 2 - (p) 1992

ENGLISCHE VIRGINALISTEN







Thomas TOMKINS (1572-1656) Barafostus' Dream
6' 17" A1
John BULL (um 1562-1628) The King's Hunt
3' 42"
A2
William BYRD (1543-1623) Pavan und Galliarde of Mr. Peter
8' 23" A3
Orlando GIBBONS (1543-1623) Fantasia in d (Nr. 6)
1' 14" A4

Pavane in g (Nr. 16)

5' 47" A5
William BYRD Walsingham-Variationen
8' 09" B1
Orlando GIBBONS Fancy (Nr. 3) in d
0' 51"
B2
Giles FARNABY (um 1566 bis nach 1635) Maske in g

2' 07" B3
John BULL Fantasia in d
6' 24" B4

English Toy
1' 24" B5
Orlando GIBBONS Fantasia in d
4' 14" B6





 
Gustav Leonhardt, Cembalo (Johannes Ruckers, Antwerpen 1640)

 






Luogo e data di registrazione
Schloß Ahaus, Westphalia (Germany) - settembre 1968


Registrazione: live / studio
studio

Recording Supervision
Dr. Alfred Krings

Engineer
-


Prima Edizione LP
Harmonia Mundi | HM 30 492 K | 1 LP - durata 49' 13" | (p) 1968


Edizione CD
Deutsche Harmonia Mundi | LC 0761 | 05472 77191 2 | 1 CD - durata 49' 13" | (c) 1992 | ADD


Cover Art

Godert de Wedige (1583-1641). Hausmusik (Wallraf-Richartz-Museum, Köln)


Note
-














Ist von der älteren Klaviermusik die Rede, so richtet sich der Blick gemeinhin zunächst auf die Werke François Couperins, Johann Sebastian Bachs oder Domenico Scarlattis. Daß diese Komponisten aber zu einer späten Stunde des Barock in Frankreich, Deutschland und Italien ein reiches Erbe übernehmen konnten, wird dabei leicht übersehen. Das gilt erst recht von jenen Meistern, die im 16, Jahrhundert den Grund für alle spätere Klaviermusik legten. Denn damals kam es ersmals zu einer Musik für Tasteninstrumente, die an Eigenständigkeit und künstlerischer Bedeutung, aber auch in der Beachtung, die sie zu ihrer Zeit fans, den Werken nicht nachstand, die in herkömmlicher Weise für ein Ensemble geschrieben waren. Freilich sind erste Niederschriften für "clavierte Instrumente" bereits aus dem 14. und aus dem folgenden Jahrhundert in größerer Zahl erhalten. Auch lassen sich die Grundformen der Instrumentalmusik des 16. Jahrhunderts nicht ohne ältere Erscheinungen verstehen. Doch wurden diese nunmehr in neuer Weise durchdrungen und in den Dienst einer künstlerischen Ausgestaltung der allmählich sich verfestigenden Kunstformen, aber auch neuer Gestaltungen gestellt. Dabei wurden Gestaltungsprinzipien der an ein vokales, beziehungsweise vokal-instrumentales Ensemble gebundenen Kunstformen auf Instrumentalmusik übertragen.
Die Entfaltung betraf gleichermaßen alle Formen der Musik für "clavierte Instrumente". Wie ja eine Trennung nach Orgel- und nach Cembalomusik im allgemeinsten Sinne des Wortes noch bis ins 17. Jahrhundert zwar weitgehend nach der Bestimmung der Werke und gelegentlich auch nach satztechnischen Eigenheiten möglich, aus dem Stilistischen aber kaum zu erkennen ist.
Besonders deutlich tritt der Zusammenhang mit der Vergangenheit in den "Intavolierungen" zu Tage. Denn wie in den vorausgehenden Jahrhunderten, wurden auch im 16. zahllose Kompositionen der bedeutenden vokalen, beziehungsweise vokal-instru,emtalen Gattungen, wie der Canson, aus der eigentümlichen, nach Stimmen getrennten Aufzeichnungsweise der Mensuralmusik jener Tage in eine besondere Griffschrift, die Tabulatur, übertragen, welche den Tasten- oder auch Lauteninstrumenten vorbehalten war. Dabei kam es in der Regel zu mehr oder weniger umfangreichen Verzierungen und Verwendung herkömmlicher, aus der instrumentalen Improvisation hervorgegangener Spielfiguren. Schließt sich dieses "Absetzen" in die Tabulatur noch sehr eng an ältere Praxis an, so lassen die selbständigen Formen instrumentaler Vor- oder Zwischenspiele, wie etwa das Praeludium, und die Tanzsätze schon stärker den Wandel zu neuen Formen erkennen. Am bedeutendsten aber für die Geschichte der Klaviermusik sollten die um die Wende vom 15- und 16. Jahrhundert entstandenen imitativen Kompositionsformen werden, und vor allen das Prinzip der Variation, das in eigenen Variationsreihen oder auch in Zusammenhang mit anderen Formen, wie den Tänzen, angewandt wurde.
Daß England an der Entfaltung der neuen Klaviermusik hohen Anteil hatte, steht außer Frage. Und dies, obwohl der wichtigste englische Beitrag, das umfangreiche Repertoire der englischen "Virginal" -Musik, erst der zweiten Hälfte des 16. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts entstammt - mag es auch durch vorangehende englische Orgelmusik und die Errungenschaften in der Klaviermusik anderer Länder vorbereitet worden sein. Dabei wurden die Kompositionen der großen Sammelhandschriften dieser Kunst nicht nur für Virginal, ein rechteckiges Kielklavier, sondern durchaus noch für alle Sorten der "clavierten Instrumente" geschrieben. Verschiedentlich lassen Bestimmung und Kompositionsweise auch an die Orgel denken.
Als am Beginn des 17. Jahrhunderts, die erste gedruckte Sammlung, der Virgonalmusik erschien, umfaßte sie, wie es im Titel heißt, kompositionen "dreier berühmter Meister: William Byrd, Dr. John Bull and Orlando Gibbons". In der Tat kann das Werk dieser drei Meister, welche im Abstand von zwanzig Jahren geboren wurden - Byrd 1543, Bull um 1563 und Gibbons 1583 -. alle aber in den Zwanzigerjahren des 17. Jahrhunderts starben, als repräsentativ für diese besondere Kunst des elisabethanischen England helten, obschon sich ihr Leben und Werk in vielen unterscheidet. So umfassen die kompositionen für Tasteninstrumente bei Byrd nur einen kleinen Teil seines umfangreichen Werkes, das sich mit Messen, Motetten und Anthems, Madrigalen, Lautenliedern und Ensemblewerken für Streichinstrumente auf alle wichtigen Gattungen der englischen Musik jener Tage erstreckte. Der Schwerpunkt des Werkes von Bull hingegen, der seit 1613 in Brüssel und später in Amsterdam lebte, lag ganz im Bereich der Klaviermusik, wobei die virtuosen Anforderungen in vielen seiner Kompositionen der Bewunderung entsprechen, die ihm als Organisten zuteil wurde. Zu ihnen treten in der vorliegenden auswahl Thomas Tomkins, ein Schüler Byrd, der zwar bis 1656 lebte und bis ins hohe Alter komponierte, als der letzte Vertreter dieser Kunst aber doch eher rück wärtsgewandt erscheint, und schließlich Giles Farnabey, ein um 1566 geborener und nach 1635 gestorbener Musiker. Ihm kommt im Kreis dieser Meister eine besondere Stellung zu, da er sein Leben zunächst als Schreiner und möglicherweise Instrumentenbauer verdiente und auch im Kompositorischen manche Eigenheiten bietet, die zum Teil mit seiner gesellschaftlichen Stellung und dem eigenen Weg zur Musik zu verbinden sind.
Und auch in den berücksichtigten Kompositionen läßt die vorliegende Auswahl ein lebendiges Bild von der Vielfalt jener Klavierkunst entstehen: Die Fantasia oder Fancy, welche von kutzen imitativen Sätzen nach Art des Voluntary bus zur Reihung umfangreicher und ganz unterschiedlicher - teils imitativer, aber auch frei figurativer - Abschnitte reicht, ging aus der Verbindung einer im Bereich der vokal-instrumentalen Gattung entstandenen Satzweise mit klavieristischen Eigenheiten hervor. Die Tänzsätze mit Pavan und Galliard, aber auch die kleine Allemande in Bulls English Toy zeigen darin eine eigentümlich englische Verbindung mit der Variation, daß jeder Abschnitt verändert wiederholt wird. Farnabeys Mask ist ein Beispiel jener knappen lied- oder tany- atigen Sätze, die in der Virginalmusik oft besondere Titel tragen, und mag mit den szenischen Masques zusammenhängen. Der Variationszyklus schließlich ist hier durch Byrd große Walsingham-Variation, Bulls The King's Hunt und Tomkins Barafostus' dream vertreten. Gerade an diesen Kompositionen, daren Veränderungstechnik in ihrer Handweklichkeit leicht zu verfolgen ist, wird deutlich, welchen Einfluß die englische Klavierkunst des ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhunderts auf die weitere Entwicklung der Klavier- und Orgelmusik bis zum Ausgang
des Barockzeitalters hatte.
Wulf Arlt